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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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denn so schlimm, solche Fähigkeiten zu haben?«, fragte Lina erschrocken.
    Â»Ach, Lina, wenn man es nicht richtig anstellt, kann man schwachsinnig werden. Es gibt Menschen, die sich sogar umbringen. Du wirst dich verändern, wenn es sich erst einmal voll entfaltet. Deine Großmutter war eine starke Frau. Ich hoffe, das bist du auch.« Linas Mutter bekreuzigte sich, schlug ihre rauen Hände vors Gesicht und weinte.
    Â»Mama, es wird schon alles gut werden. Ich habe doch Pater Dominik. Und die Kirche. Und außerdem ist Papa immer bei mir.«
    Doch anders als sonst beruhigte die Erinnerung an ihren Mann Consuela nicht, sondern löste einen weiteren Weinkrampf aus.

34
    AM GENFER SEE
    Sam hatte am frühen Nachmittag sein Büro in Hamburg verlassen und kam am Abend in der Villa am Genfer See an. Claudette erwartete ihn bereits, um ihn auf das vorzubereiten, was er schon ahnte. Wie immer war sie perfekt gekleidet. Das dunkelblaue Kostüm ließ sie sehr zart aussehen. Sie trug eine weiße Perlenkette, Perlenohrringe und dazu passend ein Armband, das ihr beinahe über das Handgelenk rutschte, so dünn war sie geworden. Trotz des Make-ups konnte Sam ihre dunklen Augenringe erkennen. Kein Wunder, dachte er. Wenn es für ihn schon schwer war, Argault zu verlieren, musste es für seine Frau fast unerträglich sein. Die beiden hatten sich vor über dreißig Jahren kennengelernt und seitdem eine Bilderbuchehe geführt. Da hatte der Topf seinen Deckel gefunden – etwas, was Sam vermutlich nicht mehr gelingen würde.
    Claudette saß ihm in einem safranfarbenen Lehnstuhl gegenüber, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände im Schoß gefaltet. An der gebrochenen Stimme hörte er, dass es ihr nicht leichtfiel, ihm zu sagen, wie schlecht es um ihren Mann stand. »Es geht ihm miserabel. Der Arzt meint, dass es jeden Tag zu Ende gehen kann. Er wollte dich unbedingt noch einmal sehen. Er hat dich immer geliebt wie einen Sohn. Du weißt ja, wie sehr Phillippe darunter gelitten hat, dass wir selbst keine Kinder hatten.«
    Â»Ich weiß.« Sam schluckte und blickte auf das Muster des blaugrauen Perserteppichs.

    Claudette erhob sich und nahm ihn bei der Hand. »Komm, ich bring dich zu ihm. Er weiß noch nicht, dass du hier bist.«
    Sie gingen die geschwungene Treppe nach oben und folgten den persischen Läufern den Gang entlang. Links und rechts hingen alte Ölgemälde mit Landschaftsszenen, die für Sams Geschmack etwas düster waren, die aber zu der Einrichtung passten. Claudette blieb an einer Tür stehen und klopfte zaghaft, bevor sie eintrat und Sam bedeutete zu warten. Nach wenigen Augenblicken erschien sie wieder und sagte: »Komm rein.«
    Claudette zog sich leise zurück. Sam ging zum Bett, setzte sich auf die Kante und nahm die Hand seines Freundes. Sie war kalt. Argaults Haut, sonst gebräunt und faltig, sah weiß und glatt, fast durchsichtig wie die Haut eines Engels aus. Sam senkte den Kopf und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    In diesem Moment öffnete Argault die Augen. »Junge, wer wird denn da Tränen vergießen? Jeder von uns muss mal Abschied nehmen. Ich hätte mir nur lieber eine verirrte Kugel gewünscht als so eine Scheißkrankheit.« Argault lachte leise. »He, hat’s dir die Sprache verschlagen?«
    Sam versuchte zu lächeln. Dann wischte er sich mit beiden Händen über das Gesicht.
    Â»Weißt du«, setzte Argault an, »ich hatte ein gutes Leben. Hatte einen interessanten Beruf, in den letzten Jahren sogar einen Sohn, auch wenn’s nicht das eigen Fleisch und Blut war, und eine Frau, eine wunderbare Frau, die mich geliebt hat und mir immer zur Seite stand. Aber das weißt du ja alles. Erzähl mir lieber, was draußen passiert. Wie kommst du mit deinem Fall voran?«
    Â»Es läuft.« Sam putzte sich die Nase und wusste, dass sich Argault mit dieser Antwort nicht zufriedengeben würde.
    Â»Es läuft. Mehr hast du nicht zu sagen? Wie sieht das Profil aus?«, hakte Argault nach.
    Â»Ich würde sagen, wir haben es mit einem Mann zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig zu tun. Gute körperliche Verfassung. Ich tippe fast, dass er aus Hamburg kommt oder zumindest dort wohnt, alleinstehend, ohne festen Beruf undmobil ist. Er könnte geerbt haben, oder er lebt mit einem Familienangehörigen unter einem Dach.

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