Gottesopfer (epub)
Totenstill.
Am nächsten Morgen wurde er von aufgeregten Stimmen geweckt. Er zog sich eine Hose und ein Hemd über und trat auf den Gang hinaus.
Die Tür zu Pater Pauls Zimmer stand weit offen. Er sah zwei Schwestern aus dem Zimmer kommen, die eine schob eine Bahre vor sich her, auf der ein zugedeckter Körper lag, die andere einen Wagen mit dreckiger Bettwäsche.
Lukas sah in das leere Zimmer, auf das leere Bett, und sein Herz zog sich zusammen. Dann brach er auf dem Boden zusammen und weinte lautlos in sich hinein. Wieder hatte man ihn verlassen, wieder war er allein. Nun hatte er keinen mehr, der ihn tröstete, der sich um ihn kümmerte. Sein letzter Verbündeter war tot. Verzweifelt fasste er einen Entschluss. Er war alt genug. Niemand konnte ihn zurückhalten.
Er packte die Hinterlassenschaften von Pater Paul, seine eigenen Habseligkeiten und den kleinen Pinguin in eine Tasche und verlieà das Kloster. Keiner achtete auf ihn. Er wandte sich in Richtung Norden. Dorthin, woher der Brief gekommen war, den er gut versteckt hatte zwischen den Seiten des Buches, das Pater Paul ihm gegeben hatte.
33
In der Küche herrschte Chaos. Ein Koch war krank, und trotzdem mussten jetzt gleichzeitig fünfzehn Hauptspeisen fertig werden. Linas Mutter standen die SchweiÃperlen auf der Stirn, während sie den Muschelsud in einen Topf goss. Lina schnitt Gemüse klein, ansonsten war sie in der Küche nicht zu gebrauchen. Das letzte Mal hatte sie den Sud für die Fischsuppe in den Ausguss gekippt und die Gräten im Sieb aufgefangen. Sie hasste es zu kochen. In Gedanken erlebte sie den gestrigen Abend noch einmal. Erst die groÃe Freude, Sam wiederzusehen, dann die Enttäuschung, weil er nach wie vor unnahbar war und sich überhaupt nicht für sie interessierte. Zumindest wusste sie jetzt, dass Sam Polizist war. Juri war eine richtige Plappertasche. Er hatte sogar von der Sondereinheit erzählt und dass sie hinter einem Frauenmörder her waren. Lina fand das alles sehr beeindruckend, und Sam war für sie jetzt noch interessanter als zuvor. Von weit her hörte sie ihren Namen. »Lina, Lina, por favor. ¿Qué estás haciendo? «
Mist, sie hatte sich in den Finger geschnitten, und das Blut tropfte zwischen die klein geschnittenen Bohnen. Ihre Mutter war wütend und schob sie beiseite. »Dónde estás con tu mente, hija!«
Ja, ihre Gedanken waren zumindest nicht hier in der Küche. »Tut mir leid, Mama.«
»Na, geh schon, mach dich fertig.«
Lina sah über die Schwingtür ins Restaurant, in der Hoffnung, er sei wie letzte Woche hier. Aber alle Tische waren besetzt, und an keinem saà Sam. Lina ging nach hinten, um sich umzuziehen. Sie war heute so gar nicht in der Stimmung zu tanzen.
Sie trug heute einen dunkelblau und weià gepunkteten Rock mit einer weiÃen Volantbluse, und als die Musik einsetzte, stand Lina im Restaurant und lieà Schuhe und Kastagnetten klappern.Wie immer tanzte sie zwei Tänze, bekam tosenden Beifall und ging dann wieder nach hinten. Alles fällt mir heute schwer, dachte sie.
Sie zog sich rasch um und half dann ihrer Mutter, so gut sie konnte. Gegen halb eins verlieÃen die letzten Gäste das Restaurant. Beim Aufräumen fragte Linas Mutter: »Warst du eigentlich bei Pater Dominik?«
»Ja, und ich habe morgen ein Date mit ihm.«
»Lina! Das ist respektlos.«
»Ach, Mama, nimm doch nicht immer alles so ernst.« Lina nahm ihre einen Kopf kleinere Mutter in den Arm und lachte. Consuela roch wie immer nach Essen, ihre Haut, ihr Haar und ihre Kleider, alles duftete danach. Ihre ehemals weiÃe Schürze erinnerte mit ihrem undefinierbaren Muster aus Gemüse-, Fleisch- und Fischflecken an ein abstraktes Kunstwerk.
»Wenn du das nächste Mal mit ihm sprichst, solltest du ihm auch von deiner GroÃmutter erzählen. Sie war etwas Besonderes.«
Lina setzte sich auf einen Stuhl und sah ihre Mutter fragend an. »Inwiefern besonders?«
»Deine GroÃmutter hatte Fähigkeiten, hellseherische Fähigkeiten. Sie hat mir immer gesagt, dass du das von ihr geerbt hast. Die Probleme, die wir mit dir hatten, als du klein warst, hatten damit zu tun. Ich hatte gehofft, dass du verschont bleibst, nachdem wir bei diesem Heiler waren, aber es schlummert in dir, und es wird Zeit, dass du dich dem stellst. ¡Por Dios! «, rief sie, den Blick nach oben gerichtet.
»Warum ist es
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