Gottesopfer (epub)
nach seinem Anruf waren alle Hamburger Polizeistationen benachrichtigt.
Juri hatte am Vormittag die Kostüme aufgetrieben, und Sam war gerade bei der Anprobe und stand als Edelmann verkleidet in seinem Büro, als es an der Tür klopfte. Eine junge Beamtin kam herein, gab Juri die Vermisstenmeldung und grinste bei Sams Anblick übers ganze Gesicht. Juri überflog das Blatt und reichte es Sam. Dieser hatte die Hamburger Polizei darum gebeten, ihm sämtliche Meldungen über vermisste Frauen zwischen zwanzig und sechzig Jahren sofort weiterzuleiten. Rein intuitiv hatte er auch Frauen einbezogen, die jünger als die bisherigen Mordopfer waren. SchlieÃlich gab es sicherlich auch Frauen, die unter dreiÃig waren und die sich mit Esoterik und Wahrsagerei beschäftigten.
Normalerweise wurde die Polizei erst vierundzwanzig Stunden, nachdem eine Person verschwunden war, aktiv, doch Sam reagierte sofort. Er zog sein Kostüm aus und machte sich mit Juri auf den Weg zu dem Schrebergarten im Eppendorfer Moor. Die junge Frau lebte übergangsweise, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, im Gartenhäuschen ihrer Eltern.
Vom Auto aus rief Sam bei ihrem Chef an, der ein Reisebüro in Harvestehude hatte. Er konnte jedoch nur sagen, dass seine Sekretärin Isabella Longi sehr pflichtbewusst sei und dass es nicht zu ihr passe, einfach so nicht zur Arbeit zu kommen und sich nicht zu melden. Deshalb habe er bei der Polizei angerufen. Sie arbeite oft länger als seine anderen Angestellten, gestern sei sie erst gegen halb acht gegangen. Ob sie in die Kirche ging, Karten legte oder sonst einen Bezug zu Esoterik hatte, konnte er nicht sagen. Sie sei sehr verschlossen und rede wenig über sich,meinte er. Es war also unklar, ob Isabella Longi ein potenzielles Opfer war.
Trotzdem hatte es Sam eilig, zu dem Häuschen zu kommen. Er hätte nicht erklären können, warum er sich für den Fall interessierte. Vielleicht war es das Moor , das ihn aufhorchen lieÃ, und Juris Erklärung, dass das Eppendorfer Moor ein Naturschutzgebiet sei, mit anderen Worten: ein perfekter Tatort. Als sie ankamen und er die kleinen, unbewohnten Häuschen der Schrebergartensiedlung sah, hatte Sam ein komisches Gefühl in der Magengegend.
Schnell fanden Sam und Juri Nummer 1149, und bevor sie an die Tür des Gartenhäuschens klopften, sahen sie durchs Fenster. Als Sam die Wasserpfütze auf dem Tisch und die abgeschnittenen Haare auf dem Boden entdeckte, war eines sofort klar: Der Mörder, Sam nannte ihn insgeheim inzwischen den Inquisitor, hatte wieder zugeschlagen. Nach einer kurzen Durchsuchung des Zweizimmerhäuschens war klar, dass der Mörder Isabella Longi verschleppt haben musste. Juri forderte Verstärkung an, und Sam ging vor das Häuschen, um nachzudenken. Plötzlich sah er Schleifspuren, die von der Tür zum Weg führten. Etwas Schweres war hier entlanggezogen worden, so viel stand fest.
Sam folgte der Spur, die nach einer Weile den Weg verlieà und mitten durchs Gelände führte. Er lief jetzt schneller. Vielleicht lebte sie noch? Er hetzte über platt getretenes, braunes Gras, bis er eine kleine Lichtung erreichte. Dann sah er den Baum mit der verbrannten Leiche.
Juri war Sam gefolgt und stand jetzt hinter ihm.
»Ich habe gelesen, dass eine vollständige Leichenverbrennung nur bei konstant hohen Temperaturen um 1000 Grad Celsius über einen Zeitraum von ein bis zwei Stunden in einem Krematorium erreicht werden kann.« Er starrte auf den gekrümmten Körper. Dann sah er auf das Foto in seiner Hand, das sie zusammen mit der Vermisstenmeldung bekommen hatten. Eine Schwarz-WeiÃ-Kopie nur, aber er erkannte eine hübsche junge Frau, die in die Kamera lächelte.
»Das wusste ich nicht. Folglich wird er nie sein Werk vollenden können. Muss er nicht die Asche in alle Winde verstreuen, um die Seele zu retten?«
»Na ja, eines ist klar, er wird es weiter versuchen.« Er gab Sam das Foto und verlieà den Tatort. Sam betrachtete das Foto und fragte sich, was die junge Frau, die noch ihr ganzes Leben vor sich gehabt hätte, vor ihrem Tod für Torturen hatte ausstehen müssen.
In diesem Moment klingelte sein Handy. Er sah auf das Display. Das hatte ihm gerade noch gefehlt: ein Anruf von Peter Brenner.
»OâConnor?«, dröhnte es durch die Leitung.
»Ja, Herr Brenner, am Apparat.«
»Ich werde Sie von dem Fall
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