Gottesopfer (epub)
abziehen, wenn ich noch einmal höre, dass Sie am Genfer See rumturnen, statt diesem Kerl ein für alle Mal das Handwerk zu legen!«
»Er hat schon wieder zugeschlagen. Jetzt haben wir ihn.«
»Das ging aber schnell! Sie haben ihn schon verhaftet?«
»Nicht direkt, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, OâConnor?«
»Das würde ich mir nie erlauben, Herr Brenner. Ich bin gerade am Tatort, ich melde mich später noch einmal.«
Sam klappte sein Handy zu. Unbändige Wut stieg in ihm auf. »Am Genfer See rumturnen«, das war wirklich der Gipfel. Solange er an diesem Fall arbeitete, würde Brenner ihn bevormunden, ihn kontrollieren und ihm die Marschrichtung vorgeben.
Sam atmete tief durch, er durfte sich von solchen Gesprächen nicht aus der Fassung bringen lassen. Immerhin hatte er recht gehabt mit seiner Vermutung, dass der Mörder bald wieder zuschlagen würde. Und vielleicht hatte er auch recht damit, dass der Inquisitor aus Hamburg war, dass er hier lebte, direkt vor seiner Nase. War es doch Pater Dominik? Hatte Juri eigentlich inzwischen die verdammten Personaldaten des Pfarrers vom Einwohnermeldeamt angefordert?
38
Lina war frühmorgens beim Zahnarzt gewesen und kam deshalb ein bisschen später zu Doktor Ritter in die Praxis. Sie klopfte leise an die Tür zum Behandlungszimmer, und als niemand antwortete, öffnete sie sie vorsichtig und sah, dass Doktor Ritter neben einem Patienten in seinem Ledersessel saÃ. Der Patient â Lina erkannte Herrn Lange, den Mann mit der Panik vor Spritzen â lag auf dem Sofa und regte sich nicht. Sie schloss die Tür wieder und setzte sich im Vorzimmer hinter den Schreibtisch. Aus dem Zimmer drang kein Laut. Wahrscheinlich machte Doktor Ritter eine spezielle Entspannungstherapie mit Herrn Lange, da Hypnose für diesen Patienten nicht infrage kam, wie sie wusste.
Sie hatte nichts zu tun und musste warten, bis die Sitzung beendet war. Lina dachte an die gestrige Séance und daran, dass auch sie ein Medium war. Ob die Geister wohl mit ihr sprechen würden? Sie nahm sich ein Blatt Papier und einen Stift und fing an, Kreise auf das Blatt zu malen. Dabei klimperten die Anhänger an ihrem Armband. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob ihre Hand geführt würde. Ohne dass sie es wollte, bewegte sich der Stift in ihrer Hand über das Papier und schrieb: »Hallo, Lina, wir sind es.«
Es klappte! Aufgeregt fragte Lina in Gedanken: »Wer ist da?«
Die Antwort erschien sofort: »Hab keine Angst, wir sind hier, um dir zu helfen und um dich zu schützen.« Dann malte der Stift eine Blume und Herzen.
Lina lächelte und spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen, wie ein leichtes Streicheln auf ihrer Haut. Sie war glücklich. Sie wusste, dass dies ihre Schutzengel waren. Ihre Gedanken wanderten zu Sam, wie so oft in letzter Zeit. Sie dachte morgens beim Aufwachen als Erstes an ihn und abends beim Einschlafen als Letztes. Ja, sogar nachts war er bei ihr. Wenn sie in ihrenTräumen mit ihm zusammen war, blickte er sie mit seinen traurigen braunen Augen an, und sie tröstete ihn.
Ihre Schutzengel hatten ihre Gedanken wieder gelesen, denn nun schrieb ihre Hand: »Er ist ein guter Mann, aber ihn quälen viele Sorgen. Er will niemanden damit belästigen, deshalb lässt er dich nicht in sein Leben.«
»Was für Sorgen hat er denn?«, dachte Lina.
»Er sorgt sich um seine Schwester, aber es wird bald zu Ende sein.« Plötzlich änderte sich die Schrift, und in einer neuen Zeile erschienen die Worte: »Meine Prinzessin, du bist in Gefahr. Bete um Schutz.« Lina bekam eine Gänsehaut. Sie kannte die Handschrift nur zu gut. Laut fragte sie: »Papa?«
»Frau Lopez?« Doktor Ritter stand vor ihr und sah sie irritiert an. Hinter ihm stand Herr Lange.
»Oh, tut mir leid, ich war völlig in Gedanken.« Lina lief rot an, zerknüllte das Blatt Papier und warf es in den Papierkorb.
»Geben Sie Herrn Lange bitte einen neuen Termin für die nächste Woche.«
»Aber natürlich«, erwiderte sie und blätterte im Kalender, während Doktor Ritter wieder in sein Sprechzimmer ging.
»Hm â¦Â nächste Woche sieht es schlecht aus. Aber was ist mit diesem Freitag um zehn Uhr, Herr Lange?«
»Ja, das ist gut.«
»Soll ich es Ihnen aufschreiben?«
»Nein. Das
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