Gottessoehne
aus Noahs Dorf, die das Treiben der Fremden mit Argwohn beobachtet hatten, gewöhnten sich mehr und mehr an ihre ungewöhnlichen Nachbarn. Da sie von Überfällen der Nephilim verschont geblieben waren, verlor sich ihr Misstrauen und die Neugierde auf das unbekannte Leben der Anderen wuchs. Noch nie hatten die Dorfbewohner ein solch hohes Gemäuer gesehen und auch das Werkzeug, das zum Bau der Festung gebraucht worden war, war etwas vollkommen Neues. Diese Fremden waren in ihrer Kultur so weit entwickelt, es konnte nur von Vorteil sein, von ihrem enormen Wissen zu lernen.
Als erstes hatten zwei junge Männer den Mut, die neu erbaute Bastion zu betreten. Sie boten den Nephilim vier Kaninchen an, die sie mit ihren Steinschleudern erlegt hatten. Im Gegenzug erhielten sie ein Messer aus Eisen. Nach und nach wagten sich immer mehr Dorfbewohner auf das fremde Territorium, um Feldfrüchte, Brot und Leinen gegen ihnen bis dahin unbekannte Dinge, wie Haken, Messer und eiserne Fallen, die beim Berühren eines Tierlaufes wie ein gewaltiges Maul zuschnappten, einzutauschen. Nur Noah und seine Frau sah man nie in der Nähe der rotbraunen Mauern.
Nach der Fertigstellung des gewaltigen Bauwerks, gaben die Nephilim ihre Raubzüge auf, bei denen sie unzählige Menschen aus ihren Heimatdörfern verschleppt hatten. Sie brauchten kein weiteres menschliches Arbeitsmaterial. Was sie allerdings brauchten, war Nahrung, vor allem Fleisch. So kamen Tag für Tag Menschen aus verschiedenen Ortschaften, die kleine Herden von Ziegen, Schafen oder Rinder vor sich hertrieben. Manche von ihnen trugen auch an Stöcken gebundenes Wildbret und balancierten Körbe, mit frisch gefangenem Fisch, auf ihren Schultern.
Helel hatte festgelegt, dass vor der Übergabe der Nahrungsmittel ein Ritual vollzogen wurde. Dabei versammelten sich die Nephilim auf einem freien Platz, der im Schatten der gewaltigen Festung lag, ihnen allen voran die Brüder Helel und Asmodeus. Die Menschen mussten dann das schönste und kräftigste Tier aus ihrer Herde heraussuchen, es vor Helel und Asmodeus führen und dann dessen Kehle mit einem Messer durchschneiden. Das Blut, das aus der frischen Wunde floss, wurde in einem silbernen Becher aufgefangen und dann, mit einer tiefen Verbeugung, an Helel gereicht. Dieser nahm einen tiefen Schluck und gab das Trinkgefäß an seinen Halbbruder weiter. Danach machte der silberne Becher mit dem Opferblut die Runde durch die Schar der Nephilim. Die Männer und Frauen, welche die Tierherden bis zur Festung geführt hatten, wagten nicht, die riesenhaften Fremden anzuschauen, sie blickten zu Boden und hofften, diesen Ort bald wieder verlassen zu können. Diese Fremden erschienen ihnen nicht wie normale Sterbliche, sie waren eher wie Götter, Götter die sich nahmen, was immer sie wollten.
Leas Sehnsucht nach ihrem Sohn war dieses Jahr ins Unermessliche gewachsen, doch sie behielt ihre Gefühle für sich. Seit dem schrecklichen Gemetzel in der Nachbarsiedlung hatte Samsaveel Ezekiel mit keiner Silbe mehr erwähnt. Ihre auf wenige Mitglieder geschrumpfte Gemeinschaft versuchte tapfer, den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten, aber eine düstere Ahnung von drohendem Unheil hing seit dem verhängnisvollen Ereignis in der Luft und wuchs von Tag zu Tag. Manchmal kamen in einfaches Leinen gekleidete Menschen in ihre Siedlung und berichteten ihnen von den neuesten Ereignissen aus der Bastion der Nephilim. So erzählten sie, dass das Verlangen der riesenhaften Wesen nach Fleisch immer größer wurde und die Menschen bald nicht mehr wüssten, wie sie es befriedigen sollten. Ihre Tierherden schrumpften, die Wälder und Steppen waren regelrecht leer gejagt und die Fischer zitterten jedes Mal vor Angst, dass die Netze leer blieben, wenn sie sie aus Seen und Flüssen zogen. Was aber würde passieren, wenn die Nephilim nicht mehr bekamen, was sie verlangten? Es gab nichts und niemanden, der die Menschen vor diesen gierigen Monstern beschützen konnte. Allerdings schien es einem Dorf nicht schlecht zu gehen, seitdem die Fremden ihren Herrschaftsanspruch gestellt hatten. Diese Dorfgemeinschaft lag in naher Nachbarschaft zu der rotbraunen Festung und seine Bewohner betrieben einen regen Handel mit den Nephilim und schienen sie sogar zu bewundern, ja regelrecht anzubeten. Man hatte auch schon gesehen, wie sich einige Frauen, aufreizend gekleidet und stark geschminkt in die Festung der Nephilim schlichen. Und das, obwohl die Dorfbewohner ehemals
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