Gottessoehne
Ezekiel warf den Kopf in den Nacken und begann laut zu lachen. »Du glaubst doch nicht den Blödsinn, den dieser verrückte Noah von sich gibt. Er denkt, sein Gott will uns für unsere Sünden bestrafen. Weißt du was? Sein Gott ist tot. Wir sind jetzt die neuen Götter und wir werden uns nicht vor diesem unsichtbaren Gott beugen.«
»Du bist kein Gott, du bist mein Sohn.« »Komm, lass uns gehen, Mutter. Helel hat eine Versammlung einberufen. Azazel hat uns eine Neuigkeit zu verkünden und ich möchte, dass du an meiner Seite sitzt.« Lea betrachtete das makellose Gesicht ihres Sohnes. Es war wunderschön, doch es war das eines Fremden. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag, sie hatte ihren Sohn verloren. Samsaveel hatte Recht gehabt. »Nein«, antwortete sie ruhig, »ich werde auf die Ankunft meines Mannes warten.« Sie kehrte Ezekiel den Rücken zu und schaute hinaus in die Weite der Landschaft.
»Du liebst ihn mehr als mich!«, schrie der Nephilim voller Zorn. »Dann geh doch zu ihm!« Ezekiel stürzte sich auf Lea, packte sie um die Taille, hob sie hoch mit einer Leichtigkeit als wäre sie nicht schwerer als eine Feder und warf sie über die Brüstung. Leas Körper schien für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft zu schweben, dann fiel er wie ein Stein in die Tiefe und landete mit einem dumpfen Aufprall auf einem Felsen, der am Rande der Mauer aus dem Boden ragte. Lea war sofort tot.
Mitten im Laufen, stoppte Samsaveel. Sein Herz zog sich vor Schmerz krampfhaft zusammen und eine Vision, wie seine Frau tot auf regennasser Erde lag, durchfuhr sein Bewusstsein. Er hob sein Gesicht zum Himmel, die Regentropfen liefen ihm über die Stirn in die Augen und hinab in den geöffneten Mund. Tränen, die ihm aus den Augenwinkeln liefen, vermischten sich mit dem Regenwasser. So stand er eine Weile da, unfähig sich zu bewegen.
Auf einmal ertönte ein lautes Grollen. Es kam aus südlicher Himmelsrichtung, dort wo sich die Festung befand und wo noch weiter südlich das Meer unentwegt seine Wellen gegen das Ufer branden ließ. Das Grollen wurde lauter und kam immer näher, gleich einer Wand aus Schallwellen, die sich unerbittlich vorwärts schob. Dann erbebte die Erde unter seinen Füßen, er stürzte zu Boden. Alles um ihn herum erzitterte und wand sich unter dem Beben der Erde.
Plötzlich erstarb das Erdbeben und Stille umgab ihn. Eine Stille wie in einem Grab und Samsaveel wusste mit tödlicher Sicherheit, dass er verloren war. Er und alle anderen.
Ezekiel umklammerte immer noch die dicken Steine der rotbraunen Brüstung. Das Schwanken und Zittern der Welt um ihn herum hatte endlich aufgehört. Was war das gewesen? Schnell sah er an dem Turm hinunter, um irgendwelche Schäden an der Festung zu entdecken. Sein Blick streifte den leblosen Körper unten am Boden, doch der Anblick ließ ihn kalt. Zu seiner Erleichterung waren die festen Mauern unbeschadet. Ihr Bauwerk konnte sogar dem Zorn Gottes trotzen.
»Ist das alles, was du zu bieten hast?« Er lachte leise, verstummte aber, als ihn das seltsame Gefühl beschlich, jemand stehe hinter ihm und würde ihn beobachten. Beobachten mit todbringenden Augen. Er drehte sich um, da war niemand, nur ein rötlicher Lichtschein war zu sehen, der sich über das entfernte Meer ausbreitete. Dann wich dieses rote Licht einem blauen Glitzern, das mehr und mehr in die Höhe wuchs. Aber das war doch nicht möglich, nein, das konnte nicht sein. Eine riesige blaue Wand, die schier in den Himmel zu ragen schien, raste auf die Festung zu. Ezekiel wich zurück, bis er das kalte Mauerwerk des Turmes im Rücken spürte. Dann schrie er seine Furcht hinaus und hörte nicht mehr auf zu schreien, bis sich seine Lungen mit Meerwasser gefüllt hatten.
Die gewaltige Springflut hatte alles unter sich begraben. Sie hatte die Mauern der stolzen Festung, wie Pappmaché auseinandergerissen und alles mit in ihr feuchtes Grab genommen. Sie hatte weder vor Menschen, noch vor den Nephilim, noch vor den ehemals mächtigen Grigori halt gemacht. Dem Tod war fast niemand entkommen.
Kapitel 16
New York, Jetztzeit
Sie schwiegen beide lange, nachdem er mit seiner Erzählung geendet hatte. Kate hatte das Gefühl, ihr würde gleich der Schädel platzen, vor lauter Fragen, die diese unwirkliche Geschichte bei ihr auslöste.
»Also gab es wirklich die Sintflut mit Noah, der Arche, den ganzen Tieren und so?«, fragte Kate. »Nun, sie hat sich nicht genauso abgespielt, wie in der Bibel beschrieben, aber in
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