Gottesstreiter
dass damals, als er jung war, halb Schlesien in sie verliebt war, die Kavaliere waren hinter
ihr her wie die Hunde hinter der Hündin, denn sie war nicht nur schön, sie war auch noch vermögend. Schließlich hat sie Kuno
Borschnitz geheiratet, der dann ...«
»An die Zeiten, als dein Vater jung war, erinnern sich heute die ältesten Leute nicht mehr«, wies ihn Liebenthal giftig zurecht.
»Damals gehorchten die Bischöfe von Breslau noch dem Erzbischof von Gnesen, im Herzogtum Schweidnitz regierten die Piasten,
und der böhmische König Wenzel IV. war noch ein kleiner Hosenscheißer. So lange ist das schon her. Die Borschnitz, das alte
Weib, muss demnach schon mehr als sechzig Lenze zählen, ein Wunder, dass sie nicht längst zu Staub zerfallen ist. Treibt die
Pferde an, verdammt noch mal, was schleicht ihr denn so! Häretiker, treib deine Stute an! He! Zieh doch mal einer der Mähre
eins mit der Knute über den Hintern!«
»Beruhige dich lieber, Willrich!«
Sie übernachteten in Bolkenhain, einem kleinen Städtchen am Fuße des Berges, auf dessen Gipfel sich die berühmte Burg drohend
erhob.
Diesmal verbrachten sie die Nacht im Gasthof, Liebenthal hatte sich endlich entschlossen, etwas tiefer in die Börse zu langen,
die er zur Begleichung der Reisekosten von Dachs bekommen hatte. Sie gönnten sich auch ein Abendessen aus reichlich mit Speckgrieben
bestreuten Piroggen, die mit Sauerkraut und Pilzen gefüllt waren.
Reynevan schlief satt und traumlos.
|371| Am anderen Morgen jagten wieder tief hängende Wolken über den Himmel, und Nieselregen setzte ein. Sie zogen dahin, nur selten
ihr Schweigen unterbrechend. Sie blickten sich um, aber von dem sie verfolgenden Reiter fehlte jede Spur. Er war verschwunden.
Wie ein Geist. Vielleicht war es wirklich ein Geist gewesen? Vielleicht tatsächlich Rübezahl, der Berggeist des Riesengebirges?
Vielleicht war er verschwunden, weil sie sich vom Riesengebirge entfernten?
Es nieselte.
Erst am späten Nachmittag klarte es auf. Als sie nach Freiburg kamen.
Sie hielten vor der Wirtschaft »Zum bärtigen Geißbock«. Es sei schon spät, meinte Willrich Liebenthal, und außerdem bestehe
das Risiko, dass sie es nicht schaffen würden, vor dem Einbruch der Dämmerung und bevor die Stadttore geschlossen würden,
nach Schweidnitz zu gelangen. Da Schweidnitz das Meilenrecht in Anspruch nehme, sei im Umkreis von einer Meile vor der Stadt
kein Gasthof zu finden. Und aus dem »Geißbock« drängen so köstliche Gerüche.
Es roch, wie sich herausstellte, nach Sauerkraut, Zwiebeln, Grütze und Sauermehlsuppe mit Räucherwurst, vor allem aber nach
gebratener Gans. St. Martin war nicht mehr fern und ließ grüßen. Vor dem unmittelbar am Bolkenhainer Tor gelegenen Gasthof
standen eine Menge Kutschen und im Stall etliche Pferde. Entweder hatten die Gerüche aus dem »Geißbock« die Gäste angelockt,
oder das Freiburger Wegerecht hatte sie gezwungen, hier entlangzufahren.
»Voll ist es heute bei euch«, stellte Reynevan fest, einen Stallburschen ansprechend. »Da habt ihr Arbeit über Arbeit, was?
Wessen Pferde sind denn das?«
Der Bursche erzählte ihm, wem sie gehörten. Er erzählte und seufzte. Er nahm es sich sehr zu Herzen. Und er war äußerst gesprächig.
Sie hätten sich noch länger miteinander unterhalten, wäre nicht Liebenthal gekommen.
|372| »Holla! Du! Bielau! Was schwatzt du da herum? Halt den Schnabel und komm her! Wird’s bald!«
Die von Rauch, Gerüchen und anheimelnder Wärme erfüllte Gaststube war voller Leute. Die meisten von ihnen waren Dörfler, denen
die uralte bäuerliche Tradition gebot, sich am Samstagabend bis zum Umfallen zu besaufen. Aber auch Kaufleute waren da und
Pilger mit Umhängen, auf die Muscheln aus Santiago de Compostela genäht waren. Auch Zisterziensermönche waren da, die mit
atemberaubender Geschwindigkeit sowohl Schüsseln als auch Krüge leerten. Auf der Bank am Kamin saßen etwa sechs Knechte im
Lederwams, am Tisch daneben vier schwarz gekleidete, traurig wirkende Gestalten.
Laut und unverschämt, wie es sich für Ritter geziemt, bestellten sie ihre Speisen und Getränke. Liebenthal hatte erneut beschlossen,
das für die Reise erhaltene Geld auszugeben, daher standen auf ihrem Tisch alsbald Fleischschüsseln, irdene Töpfe mit Grütze,
Krüge mit Wein und kleine bauchige Flaschen mit Apfelschnaps.
»Uuaach!«, stöhnte Priedlanz nach einiger Zeit. »Es geht doch
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