Gottesstreiter
davon.«
»Das Glück ist dir hold«, fuhr sie fort. »Du bist ein geradezu klassisches Beispiel eines Auserwählten des Schicksals. Aber
fordere dein Glück nicht heraus. Flieh. Meide Schlesien, am besten für immer. Hier bist du nicht sicher. Biberstein war nicht
dein einziger Feind, du hast hier viele. Früher oder später erwischt dich doch einer von ihnen und macht dir den Garaus.«
»Ich muss bleiben«, er biss sich auf die Lippen, »ich reite nicht eher weg, bevor ich sie nicht gesehen habe ...«
»Meine Tochter, ja?« Sie kniff die Augen zusammen und sah ihn drohend an. »Ich verbiete es dir. Es tut mir leid, aber ich
kann diese Verbindung nicht gutheißen. Du bist keine gute Partie für Jutta. Johann von Münsterberg hat dir tatsächlich alles
genommen und all deine Habe konfisziert. Ich bin nicht so habgierig wie Biberstein, ich könnte auch einen armen Schlucker
als Schwiegersohn akzeptieren, der nichts als ein reiches Herz sein Eigen nennt, die Liebe triumphiert auch in der kleinsten
Hütte. Aber ich kann nicht zulassen, dass sich meine |414| Tochter mit einem Geächteten einlässt, mit einem, den sie suchen. Du selbst, wenn du auch nur ein bisschen Ehre im Leib hast,
und ich weiß wohl, dass du sie hast, wirst nicht zulassen, dass deine Feinde, die dir auf der Spur sind, zu ihr gelangen.
Du wirst sie keiner Gefahr und keinem Schaden aussetzen. Versprich es mir.«
»Ich verspreche es. Aber ich möchte ...«
»Du darfst das nicht wollen. Das hat keinen Sinn. Vergiss sie. Und lass sie auch dich vergessen. Das liegt schon zwei Jahre
zurück, mein Junge. Ich weiß, dass es dich schmerzt, aber ich sage dir: Die Zeit heilt alle Wunden. Amors Pfeil trifft manchmal
sehr tief. Aber auch solche Wunden heilt die Zeit, wenn man sie nicht wieder aufreißt. Sie wird vergessen. Vielleicht hat
sie auch schon vergessen. Ich sage das nicht, um dir wehzutun. Im Gegenteil, damit es dir leichter wird. Dich quält der Gedanke
an Verantwortung und Pflicht. An Schuld. Du hast keine Schuld, Reinmar. Du bist frei von jeglicher Verantwortung. Vielleicht
bin ich so prosaisch, dass es wehtut, aber was hilft hier alle Poesie? Dass ihr miteinander geschlafen habt, war eine Episode
ohne Bedeutung.«
Er antwortete nicht. Sie trat ganz dicht an ihn heran.
»Die Begegnung mit dir ...«, flüsterte sie und berührte vorsichtig seine Wange, »die Begegnung mit dir war mir eine Freude. Ich werde mich gern daran
erinnern. Aber ich möchte dir nie wieder begegnen. Dich nie wiedersehen. Nie und nimmer. Ist das klar? Antworte mir!«
»Das ist klar.«
»Für den Fall, dass du auf dumme Gedanken kommen solltest – Jutta ist nicht in Schönau. Sie ist verreist. Sich nach ihr in
der näheren oder weiteren Umgebung zu erkundigen, ist zwecklos, denn niemand kennt ihren Aufenthaltsort. Hast du verstanden?«
»Ich habe verstanden.«
»Dann leb wohl.«
|415| Fünfzehntes Kapitel
in dem Reynevan dank eines Anarchisten endlich seine Liebste trifft.
Das Schankmädchen deutete im Vorübergehen mit dem Blick auf seinen leeren Humpen. Reynevan verneinte kopfschüttelnd. Er hatte
genug, außerdem war das Bier nicht eben hervorragend. Ehrlich gesagt, es war schlecht. Ähnlich wie das Essen, das sie hier
auftischten. Dass sich dennoch zahlreiche Gäste eingefunden hatten, konnte man wohl allein damit erklären, dass es weit und
breit keine Konkurrenz gab. Auch Reynevan hatte hier in Lauenbrunn Halt gemacht, nachdem er erfahren hatte, dass sich die
nächste Wirtschaft in Dirsdorf an der Straße nach Breslau befand. Bis Dirsdorf war es aber noch gut über eine Meile, und die
Dämmerung hatte schon eingesetzt.
Ich brauche Hilfe, dachte er.
Seit fast einer Stunde hatte er seine Lage wieder und wieder überdacht und versucht, einen einigermaßen sinnvollen Plan zu
entwerfen. Jedes Mal war er zu dem Schluss gelangt, dass er ohne Hilfe nicht viel ausrichten konnte.
Nach dem Abschied von Agnes de Apolda, der Grünen Dame, war er, nachdem er den Trübsinn, in den ihre Worte ihn gestürzt hatten,
überwunden hatte, nach Powojowitz geritten. Was er dort vorfand, hatte ihn jedoch in noch größeren Trübsinn versetzt. Der
Dorfschulze, dem Johann von Münsterberg Peterlins konfiszierten Besitz anvertraut hatte, hatte nicht ganz zwei Jahre dazu
gebraucht, um die einst berühmte und blühende Walkmühle in den Ruin zu treiben. Nicodemus Verbrüggen, der flämische Färbermeister,
war, wie sich
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