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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Almosen, he?«, rief jemand aus der Menge. Der Soldat auf dem Gerüst richtete sich auf
     und stemmte zornig die Arme in die Hüften. Der Schreihals wurde zum Schweigen gebracht.
    »Um euch den Ernst der Sache zu verdeutlichen«, sagte währenddessen der schwarz gekleidete Beamte, »um euch die Augen für
     die Gemeinheit der Häresie zu öffnen, wird ein Brief verlesen, der vom Himmel gefallen ist. Er ist in Breslau genau vor dem
     Dom vom Himmel gefallen und wurde von |421| Jesus Christus, unserem Herrn, eigenhändig geschrieben. Amen.«
    Gebetsgeflüster durchlief die Menge, die Menschen bekreuzigten sich und stießen den Nachbarn mit dem Ellenbogen an. Unruhe
     entstand. Reynevan begann sich zurückzuziehen, er drängte sich durch die Menge. Er hatte genug.
    Auf dem Gerüst entrollte der zweite Dominikaner ein Pergament.
    »O ihr Sünder und Unwürdigen«, verlas er ergriffen, »euer Ende ist nahe. Ich bin geduldig, aber wenn ihr nicht mit der böhmischen
     Häresie brecht, wenn ihr Mutter Kirche weiterhin beleidigt, verdamme ich euch in alle Ewigkeit. Ich werde Hagel, Feuer, Blitz
     und Donner auf euch niederfahren lassen, damit eure Arbeit verdirbt, eure Weinberge werde ich vernichten und all eure Schafe
     hinwegraffen. Mit verderbter Luft werde ich euch strafen und eine große Not über euch kommen lassen. Ich ermahne euch also
     und verbiete euch, den Hussiten, den Häresiarchen, den Ketzermeistern und anderen Hurensöhnen und Satansdienern euer Ohr zu
     leihen. Wer sich widersetzt, wird das ewige Leben nicht erlangen, und in seinem Hause werden die Kinder blind und taub geboren   ...«
    »Betrügerei!«, rief einer mit tiefster Bassstimme aus der Menge. »Falscher Pfaffenschwindel! Glaubt nicht daran, Brüder, ihr
     guten Leute! Glaubt den Schwindeleien des Bischofs nicht!«
    Der Soldat auf dem Gerüst lief zum Geländer hin, brüllte Befehle und deutete auf die Stelle, von der aus gerufen worden war.
     Die Menge wogte, als Hellebardenträger in sie hineinstürmten und die Leute mit den Schäften der Waffe auseinander drängten.
     Reynevan blieb stehen. Die Sache begann interessant zu werden.
    »Eine Mutter«, schrie jemand vom gegenüberliegenden Ende des Platzes mit einer Stimme, die Reynevan bekannt vorkam, »eine
     Mutter nennt sich diese römische Kirche! Dabei ist sie die schrecklichste Schlange, die ihr Gift über die Christenheit |422| ausgegossen hat, als sie grausam und mit blutigen Händen das Kreuz gegen die Böhmen erhob und mit käuflichem Mund zum Kreuzzug
     gegen die wahren Christen aufrief! Voll gestopft mit Lügen, will die Unwahrheit der Pfaffen in Böhmen Gottes unsterbliche
     Wahrheit auslöschen, deren Verbreiter und Verteidiger Gott selber ist! Aber wer gegen die Wahrheit Gottes die Hand erhebt,
     dem drohen der Tod und die Qual der Verdammnis!«
    Der Beamte auf dem Gerüst erteilte seine Befehle, er deutete hinunter, Gestalten in schwarzen Wämsern begannen sich durch
     die Menge auf den Rufer zuzudrängen.
    »Rom ist eine Hure!«, brüllte eine Bassstimme von einer ganz anderen Seite aus. »Der Papst ist der Antichrist!«
    »Die römische Kurie«, war eine ähnliche Bassstimme von wieder einer anderen Seite zu vernehmen, »ist eine Bande von Dieben!
     Das sind keine Kapläne, sondern sündhafte Lotterbuben!«
    Eine Laute erklang, und eine Reynevan durchaus bekannte Stimme begann laut und wohltönend zu singen:
    Christus allein die Wahrheit ist,
    Die Lüge ist der Antichrist.
    Die Pfaffen wollen’s verschweigen,
    Das Volk lull’n sie mit Lügen ein,
    Tun nicht die Wahrheit zeigen.
    Die Leute begannen zu lachen und die Melodie des Liedes aufzunehmen. Die Hellebardenträger und die Gestalten in den schwarzen
     Wämsern schwärmten in verschiedene Richtungen aus, fluchten, teilten Stöße und Hiebe mit den Schäften aus und suchten den
     Platz nach den Rufern ab. Vergeblich.
    Reynevan hatte mehr Glück. Er wusste, wen er suchen musste.
     
    |423| »Tybald Raabe, so wahr mir Gott helfe!«
    Beim Klang dieser Worte machte der Goliarde einen Satz, stieß mit dem Rücken gegen die Stalltür und erschreckte das Pferd,
     das dahinter stand. Das Pferd schlug mit den Hinterhufen gegen die Stallwand und schnaubte, andere Pferde reagierten ebenso.
    »Junker Reinmar   ...«, Tybald Raabe war wieder zu Atem gekommen, aber die Blässe wollte nicht aus seinem Gesicht weichen. »Junker Reinmar!
     Hier in Schlesien? Ich traue meinen Augen nicht!«
    »Ich kenne ihn«, sagte der Begleiter des

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