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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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herausstellte, |416| irgendwohin nach Großpolen ausgewandert, weil er die Schikanen nicht mehr ertragen hatte. Die Einträge auf dem Schuldkonto
     Johanns von Münsterberg mehrten sich. Die Zeit für die Abrechnung wird kommen, Herr Herzog, stieß Reynevan zwischen den Zähnen
     hervor. Die Zeit, dass du mir Rechenschaft gibst. Und deine Schuld begleichst.
    Aber erst einmal brauche ich Hilfe. Ohne Hilfe kann ich nicht viel ausrichten.
    In der Ecke, über ihren Humpen gebeugt, saßen zwei unauffällige Männer. Einfach und eher ärmlich gekleidet, aber zu sauber
     für einfache Vagabunden, auch hatte der ständige Kampf gegen den Hunger in ihren Gesichtern keine Spuren hinterlassen. Der
     eine hatte eckige Brauen, der andere ein rotbäckiges, glänzendes Gesicht. Beide trugen Kapuzen. Beide blickten häufig, zu
     häufig, wie Reynevan auffiel, zu ihm herüber.
    Ich brauche Hilfe. An wen kann ich mich wenden? An Kanonikus Otto Beess? Dazu müsste ich nach Breslau, und das ist zu riskant.
    Nach Brieg zu den Mönchen? Dass sich da noch einer an ihn erinnerte, stand zu bezweifeln, schließlich war es mehr als fünf
     Jahre her, dass er dort im Spital gearbeitet hatte. Und dann konnte Birkhart von Grellenort seine Augen und Ohren auch dort
     haben. Vielleicht doch besser nach Schweidnitz? Justus Schottel und Simon Unger, Scharleys Bekannte aus der Druckerei in der
     Krasswitzer Gasse, würden sich gewiss noch an ihn erinnern, hatte er ihnen doch vier Tage lang geholfen, obszöne Zeichnungen
     und Holzschnitte anzufertigen.
    Das scheint mir das Beste zu sein, dachte er. Scharley und Samson, die ihn mit Sicherheit in Schlesien suchten, kämen bestimmt
     auch auf die Druckerei. So lange verstecke ich mich dort, arbeite andere Pläne aus, darunter auch   ...
    Darunter auch den, wie er sich Nicoletta insgeheim nähern könnte.
    Die beiden Männer in der Ecke sprachen leise miteinander, |417| beugten sich über den Tisch und steckten die kapuzenbedeckten Köpfe noch enger zusammen. Seit längerer Zeit hatten sie nicht
     mehr zu Reynevan hinübergesehen. Vielleicht kam es mir nur so vor, vielleicht nimmt mein Argwohn schon krankhafte Ausmaße
     an? So dass ich überall Spitzel sehe und wittere? Da, jetzt schaut mich dieser hoch gewachsene Kerl am Schanktisch an, der
     mit dem dunklen Gesicht und den braunen Haaren, der wie ein wandernder Handwerksgeselle aussieht. Oder kommt es mir nur so
     vor, als sähe er mich an?
    Auf nach Schweidnitz, entschied er und warf ein paar Geldstücke auf den Tisch. Die Grüne Dame hatte sie ihm zum Abschied geschenkt.
     Nach Schweidnitz, über Reichenbach. Auf dem Pferd, das ihm die Grüne Dame überlassen hatte.
    Er trat aus dem verrauchten Schankraum und sog die Luft des Novemberabends ein, in der schon ein Hauch von Winter und die
     Ankündigung von Frost und Schneestürmen zu spüren war. Heute ist der zwölfte November, dachte er, der Tag nach Martini. Noch
     drei Sonntage, dann beginnt der Advent. Und in vier Sonntagen darauf ist Weihnachten. Er blieb eine Weile stehen und betrachtete
     den Himmel, den im Westen feurige Purpurstreifen durchzogen.
    Im Morgengrauen reite ich los, beschloss er, während er den Durchschlupf betrat, der zum Stall führte, in dem sein Pferd stand
     und wo er zu nächtigen gedachte. Wenn ich nicht herumtrödele, schaffe ich es morgen nach Schweidnitz, bevor sie die Stadttore
     schließen   ...
    Er stolperte. Über einen Körper. Auf der Erde, dicht neben der Türschwelle zur Hütte, lag ein Mensch. Er erkannte ihn sofort,
     das war einer der beiden aus der Ecke, der mit den eckigen Brauen. Jetzt, als Kapuze und Kappe heruntergerutscht waren, erkannte
     man die tief rasierte Tonsur, die nur ein Haarkränzchen über den Ohren übrig ließ. Er lag in einer Blutlache, den Hals von
     einem Ohr zum anderen durchgeschnitten.
    Der Bolzen aus einer Armbrust bohrte sich mit solcher Wucht in den Balken über seinem Kopf, dass Stroh vom Dach |418| herabzurieseln begann. Reynevan machte einen Satz nach hinten und duckte sich, ein zweiter Bolzen schlug so dicht neben ihm
     in die weiß getünchte Wand ein, dass sein Gesicht mit Farbsprengseln überzogen war. Er wandte sich in panischer Angst zur
     Flucht; links vor sich sah er die schwarze Öffnung des Durchschlupfs, ohne zu zögern, sprang er hinein. An seinem Ohr pfiff
     der nächste Bolzen vorbei.
    Er setzte über ein Fass, über einen Misthaufen, stürzte in einen Bogengang. Und stieß mit jemandem zusammen. So heftig,

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