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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Herkunft der beiden war
     unschwer festzustellen, besonders für jemanden, der wie Reynevan einst die Lektion über die typischen Merkmale der Mädchen
     und Frauen der wichtigsten schlesischen Adelsgeschlechter verfolgt hatte, eine Lektion, die Frau Formosa von Krossig einst
     auf der Raubritterburg Bodak gehalten hatte. Sowohl die Matrone wie auch das Fräulein waren eher klein und rundlich, mit breiten
     Hüften wie die Frauen der Pogorzeli, die vor langer Zeit in die Familie derer von Biberstein eingeheiratet hatten. Auch die
     kleinen, sommersprossenübersäten |409| Stupsnasen legten beredtes Zeugnis von dem in ihren Adern kreisenden Blut der Pogorzeli ab.
    Die Matrone kannte Reynevan nicht, er hatte sie nie zuvor gesehen. Das Mädchen hatte er gesehen. Früher. Ein einziges Mal.
     Der kleine Junge, der an ihrem Rockzipfel hing, hatte helle Augen, dicke Händchen, den Kopf voller goldfarbener Löckchen und
     sah überhaupt wie ein kleines Dummerchen aus, oder, anders gesagt, wie ein kleiner, hübscher, pausbäckiger, sommersprossiger
     Cherub. Reynevan hatte keine Ahnung, wem er dieses Aussehen verdankte. Und eigentlich ging ihn das auch nichts an.
    Für die obigen Beobachtungen und Gedanken, deren Darstellung doch einige Sätze erforderlich gemacht habt, benötigte Reynevan
     nicht mehr als einen Augenblick. Da den klügsten Astronomen zufolge die Tagesstunde, die
hora
, in
puncta, momenta, uncie
und
atomi
unterteilt war, kann man annehmen, dass diese Überlegungen Reynevans nicht mehr als eine
uncia
und dreißig
atomi
dauerten.
    Genauso viel Uncien und Atome brauchte Herr Johann von Biberstein, um die Situation zu erfassen. Seine Miene verdunkelte sich
     bedrohlich, die homerische Braue hob sich beängstigend, die griechische Nase wurde elegisch, und der Schnurrbart sträubte
     sich gefährlich. Es schien, als hätte das engelsgleiche Enkelchen einen bösen alten Teufel zum Großvater. Denn an einen solchen
     erinnerte der Herr auf Stolz in diesem Moment.
    »Nicht dieses Fräulein«, stellte er fest, und während er dies sagte, grollte es in seiner Kehle wie in der eines Löwen. »Es
     sieht so aus, als sei dies überhaupt nicht das Fräulein. Es sieht so aus, als versuche jemand, einen Dummkopf aus mir zu machen!«
    »Meine Gemahlin«, seine Stimme donnerte durch die Rüstkammer wie ein Wagen, der leere Särge geladen hat, »sei so gut und nimm
     die Tochter mit dir in die Kemenate. Und rede ihr ins Gewissen. In einer Art, die du für angemessen hältst, ich |410| rate zu Schlägen mit der Birkenrute auf den nackten Hintern. Bis ein Ergebnis erzielt ist, das heißt so lange, bis wir etwas
     in Erfahrung gebracht haben. Wenn du dieses Wissen besitzt, meine liebe Gemahlin, und es mit mir teilen kannst, dann erscheine
     hier vor meinem Angesicht. Wage nicht, dich vorher oder mit einer anderen Absicht hier blicken zu lassen!«
    Die Matrone erbleichte, aber sie knickste nur und gab keinen Laut von sich. Reynevan erhaschte ihren Blick, als sie die Tochter
     an dem weißen Ärmel zupfte, der unter der grünen
cottehardie
hervorsah. Dies war kein besonders freundlicher Blick. Die Tochter, Katharina von Biberstein, schaute auch herüber. Unter
     Tränen. In ihrem Blick lag ein Vorwurf. Und Bedauern. Was sie bedauerte und was sie ihm vorwarf, konnte er nur vermuten. Aber
     er wollte nicht. Es interessierte ihn nicht mehr. Die Person der Katharina von Biberstein hatte aufgehört, ihn zu interessieren.
     All seine Gedanken flogen zu einer anderen Person. Von der er, das wurde ihm plötzlich klar, überhaupt nichts wusste. Außer
     dem Namen, den er bereits erraten hatte.
    Als die Frauen mit dem kleinen Knaben hinausgingen, begann Johann von Biberstein zu fluchen. Dann fluchte er gleich noch einmal.
    »Nec cras, nec heri, numquam credas mulieri«
, knurrte er. »Woher kommt bei euch Frauenzimmern nur so viel List? Frau Mundschenk?«
    »Wir sind listig.« Die Grüne Dame lächelte ihr umwerfend verführerisches Dämoninnenlächeln. »Wir sind verdreht, weil wir Evastöchter
     sind. Wir sind aus einer gekrümmten Rippe gemacht.«
    »Das habt Ihr gesagt.«
    »Trotzdem ist es, anders, als es scheint, gar nicht so leicht, uns zu verführen. Oder uns verführen zu lassen. Seit der Zeit
     im Garten Eden kommt es tatsächlich vor, dass wir der Schlange erliegen. Aber niemals einer Blindschleiche.«
    »Was soll das heißen?«
    |411| »Ich bin ein Rätsel. Löst mich, Herr Johann.«
    Das Aufblitzen in den Augen Johann von

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