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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sehr verwässert war, »das
     sind voreilige Schlüsse, Tybald. Vielleicht habe ich in Schlesien eine andere Aufgabe, andere Dinge, einen anderen Auftrag
     zu erledigen? Würdest du mich auch davon abbringen wollen? Du? Nach all dem, was ich heute auf dem Marktplatz von Nimptsch
     gesehen habe?«
    Der Mamun kicherte.
    »Das war gut, was?« Er zeigte seine ungleichen Zähne. »Wie Jagdhunde sind sie durch die Menge gerannt, haben sich umeinander
     gedreht wie Scheiße im Eisloch   ...«
    »So ist die Arbeit nun mal.« Tybald Raabe blieb ernst. »Agitation |426| ist eine wichtige Sache. Und Malevolt arbeitet mit mir, er hilft mir, wie du gesehen hast. Er unterstützt unsere Sache. Teilt
     unsere Überzeugungen.«
    »Oh«, wunderte sich Reynevan, »die von den Lehren von Wyclif und Hus? Die von der Abschaffung des Primats des Papstes? Die
     Kommunion
sub utraque specie
und die Modifikation der Liturgie? Die Notwendigkeit einer Reform der Kirche?«
    »Nein«, entgegnete ihm der Mamun, »nichts dergleichen. Ich bin kein Idiot, und nur ein Idiot kann daran glauben, dass eure
     Kirche reformierbar ist. Aber ich unterstütze alle revolutionären Umtriebe und Bewegungen. Denn das Ziel ist nichts, der Weg
     ist alles. Man muss diesen Klumpen Welt endlich in seinen Grundfesten erschüttern. Chaos und Verwirrung stiften! Anarchie
     ist die Mutter der Ordnung, verdammt noch mal! Soll doch die alte Ordnung stürzen und bis auf ihre Grundmauern verbrennen!
     Und auf dem Grund der Asche liegt der Sterndiamant der ewigen siegreichen Erneuerung.«
    »Ich verstehe.«
    »Das fehlte gerade noch! Wirt! Wein!«
     
    Der Wirt hatte sich Malevolts Bosheit offensichtlich zu Herzen genommen, denn er brachte jetzt einen Wein, der weniger verdünnt
     war. Der Erfolg ließ denn auch nicht lange auf sich warten – der Mamun, der sich als Litauer ausgab, lehnte an der Wand und
     schnarchte. Und weil sich die Wirtsstube mehr und mehr leerte, wusste Reynevan, dass die Zeit gekommen war, etwas offener
     zu reden.
    »Ich brauche einen Ort, wo ich mich verstecken kann, Tybald. Und das für längere Zeit. Bis Weihnachten. Vielleicht auch noch
     länger.«
    Tybald Raabe hob fragend die Augenbrauen. Reynevan zögerte nicht länger und berichtete ihm von den Ereignissen in Lauenbrunn.
     Ohne etwas auszulassen.
    »Du hast viele Feinde in Schlesien.« Der Goliarde fasste die |427| Lage noch einmal zusammen, ohne damit etwas Neues auszudrücken. »An deiner Stelle würde ich mich nicht verstecken, sondern
     von hier abhauen, dorthin, wo der Pfeffer wächst. Wenigstens nach Böhmen   ... Hast du einen solchen gedanklichen Ansatz schon einmal erwogen?«
    »Ich muss bleiben   ... hmm.« Reynevan wich dem Blick aus, weil er nicht sicher war, wie viel er verraten durfte. Aber Tybald war ein schlauer
     Fuchs.
    »Ich verstehe.« Er zwinkerte viel sagend. »Wir haben unsere Befehle, was? Ich wusste, dass Neplach es versteht, dich zu benutzen.
     Das habe ich mir gedacht. Auch Urban Horn hat es sich gedacht. Horn war es auch, der herausgefunden hat, worum es bei dem
     Ganzen geht.«
    »Und worum geht es, wenn man fragen darf?«
    »Um Vogelsang.«
    »Was ist das, Vogelsang?«
    »Hmm   ... Khmm   ...« Tybald hustete ganz plötzlich, dann kratzte er sich besorgt an der Nase. »Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen soll.
     Wenn du danach fragst, heißt das, dass Filou dir nichts gesagt hat. Und auch ich glaube, dass es besser für dich ist, wenn
     du nichts weißt.«
    »Was ist das, Vogelsang?«
     
    »Im Jahre 1423«, erklärte Gregor Hejncze dem aufmerksam lauschenden Łukas Bożyczko, »befahl Jan Žižka, Gruppen für Spezialaufgaben
     zu bilden, die über Böhmens Grenzen hinaus ins Feindgebiet geschickt wurden, dorthin, wo Žižka damals bereits den Kampf um
     den Kelch hinzutragen plante. Die Gruppen sollten ganz geheim arbeiten und von den üblichen Spionagenetzen vollkommen unabhängig
     sein. Ihre einzige Aufgabe war es, den Boden für die aggressiven Überfälle auf die Nachbarländer vorzubereiten. Sie sollten
     den Taboriten helfen, die sich aufmachten, Diversion, Sabotage, Terror und Panik zu verbreiten.
    Die Gruppen entstanden und wurden losgeschickt. Nach |428| Österreich, nach Bayern, nach Ungarn, in die Lausitz, nach Sachsen. Und nach Schlesien selbstverständlich. Die schlesische
     Gruppe erhielt das Kryptonym   ...«
    »Vogelsang   ...«, flüsterte Bożyczko.
     
    »Vogelsang«, bestätigte Tybald Raabe. »Wie gesagt, erhielt die Gruppe ihre

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