Gottesstreiter
nicht, und er hatte ihn auch noch
nie gesehen. Aber er ahnte, wer das war.
»Wo ist denn der vierte?«, fragte er mutig. »Jener Herr Olbram oder wie er heißt? Dem es im ›Silbernen Glöckchen‹ nicht gelungen
ist, mich im Schlaf zu erstechen?«
Der Totenkopf warf seinen über die Flanken des Pferdes herabhängenden Mantel zurück und zog eine gespannte Armbrust |456| heraus. Ihre geringe Größe und ihre exquisite Ausführung machten sie als Jagd-, nicht als Kampfwaffe kenntlich. Diese Armbrüste
waren den zum Kampfe bestimmten an Reichweite und Durchschlagskraft unterlegen, aber sie übertrafen sie entschieden an Zielsicherheit.
Ein geübter Schütze konnte mit dieser Waffe sein Ziel nicht verfehlen, und aus einer Distanz von zwanzig Schritten traf er
einen Apfel ebenso sicher wie weiland Wilhelm Tell aus dem Kanton Uri.
»Ich werde dein Pferd nur streifen«, der Totenkopf hatte offensichtlich Reynevans Gedanken erraten, »ich werde es mit dem
Bolzen nur streifen. Dann weicht dein Pferd verängstigt zur Seite aus und drängt dich vom Steg. Wenn sie dich dann als Leiche
im Bach finden, werden deine Auftraggeber von der Inquisition dies für einen Unfall halten. Dann schreiben sie dich ganz einfach
ab und vergessen dich.«
»Ich diene der Inquisition nicht.«
»Mir doch egal, wem du dienst. Einen Aufwiegler erkenne ich am Geruch. Dein Gestank weht bis hierher!«
»Ich habe eine nicht weniger empfindliche Nase!« Reynevan spielte den Mutigen, obwohl er vor Angst fast zur Salzsäule erstarrte.
»Und mir stinkt es hier nach Verrätern, Diebsgesindel und Betrügern, und dazu auch noch nach gemeinen Schergen. Ich habe genug
davon, mit dir zu sprechen. Schieß doch, töte mich, du käuflicher Lump. Ach, es freut mich jetzt schon, daran zu denken, was
Neplach mit dir alles anstellt, wenn er dich in die Finger kriegt!«
»Du zitterst doch vor Angst, du Spitzel!«, entgegnete ihm der Blonde. »Jeder Spitzel ist ein Feigling.«
Reynevan ließ Zügel und Trense los und zog sein Stilett.
»Dann komm doch hierher auf den Steg, du Herrchen, der du dich nur bei deinen Kumpanen stark fühlst!«, knurrte er. »Hier ist
gerade Platz für zwei! Also, komm her! Aber vielleicht benutzt du dein spanisches Klappmesser nur bei Schlafenden?«
Der Totenkopf ließ seine Armbrust sinken und brach in ein |457| Höllengelächter aus. Der dunkelgesichtige Geselle fiel ein, und kurz darauf kicherte auch der Blonde.
»Wie er leibt und lebt!«, lachte er. »Ganz der Bruder!«
»Ganz der Bruder!«, wiederholte der Totenkopf. »Komm her zu uns, Reinmar von Bielau, Bruder des Peter von Bielau. Wir wollen
dir die Hand drücken, Reynevan, Bruder unseres Freundes, unseres unvergessenen Peterlin!«
Reynevan zog das schnaubende Pferd hinter sich her, vom Steg herab. Er hatte eine entschlossene Miene aufgesetzt und zwang
das zitternde Pferd dazu, ihm zu folgen. Der Totenkopf drückte ihm die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. In der Nähe
fiel die außergewöhnliche Dürre seines Körpers, die an einen Kadaver erinnerte, noch mehr auf.
»Verzeih uns unsere übertriebene Vorsicht«, meinte er, »aber das Leben hat sie uns gelehrt. Und nur dank ihr leben wir noch.«
»Deine Vermutung ist richtig«, fuhr er fort, »wir sind Vogelsang. Wir haben niemanden verraten, wir haben uns nicht abwerben
lassen und auch nicht die Seiten gewechselt. Wir haben die uns anvertrauten Gelder nicht veruntreut. Wir sind bereit zu handeln.
Wir glauben dir, dass du von Prokop und Neplach kommst. Wir glauben dir, dass du sie vertrittst und eine Vollmacht von ihnen
hast. Also führe uns, Reynevan. Wir vertrauen dir. Ich heiße Drosselbart.«
»Bisclavret«, stellte sich der Blonde vor und reichte ihm die Hand.
»Řehors.« Die Hand des dunkelgesichtigen Gesellen war hart und rauh wie ein Brett.
»Danke für das Pferd in Lauenbrunn.«
»Keine Ursache.« Řehors ’ Augen waren noch härter als seine Hand. »Uns hat lediglich interessiert, wohin du auf diesem Pferd
reitest.«
»Ihr seid mir gefolgt?«
»Wir wollten wissen, wohin du reitest«, wiederholte der blonde Bisclavret wie ein Echo. »Bei wem du Hilfe suchst.«
|458| »Diese Mönche ...«
»Die Schweidnitzer Dominikaner sind Spione der Inquisition. Sie haben Řehors gesehen, da wollten wir kein Risiko eingehen ... Umso mehr, da in der Schenke noch zwei andere waren, die wir im Verdacht hatten. Also ...«
»Also haben wir getan, was zu tun war«, beendete
Weitere Kostenlose Bücher