Gottesstreiter
um den wattierten Kragen, während sie mit gieriger Hand die
glatte Messingklammer seines Gürtels ergriff, sie drückte und streichelte.
Eng umschlungen fanden sich ihre Lippen zu einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Zu einem sehr langen und sehr leidenschaftlichen.
Jutta stöhnte.
»Mir ist hinten kalt«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Ich bin vom Schnee völlig durchnässt.«
Beide erhoben sich zitternd. Vor Kälte und vor Erregung.
»Die Sonne geht unter.«
»Ja, sie geht unter.« »Ich muss zurück.«
»Nicoletta ... Könnten wir nicht doch ...«
»Nein«, flüsterte sie, »wir können nicht. Ich wohne im Kloster, ich habe es dir doch gesagt. Und der Advent hat begonnen.
Man darf nicht im Advent ...«
»Aber ... Aber ich ... Jutta ...«
»Reite, Reinmar.«
Als er sich ein letztes Mal umdrehte, stand sie am Waldrand, umschienen vom Licht der untergehenden Sonne. In diesem Schein
und im Schimmer des Wintertages war sie nicht mehr Jutta de Apolda, die Tochter des Mundschenks von Schönau, die
conversa
der Klarissen. Am Waldrand, auf der grauen Stute |453| saß eine Göttin. Eine Lichtgestalt von wahrhaftiger Schönheit, eine überirdische Erscheinung,
divina facies, miranda species.
Die göttliche Venus, die Herrin der Elemente.
Elementorum omnium domina.
Er liebte sie und betete sie an.
|454| Sechzehntes Kapitel
in dem es zu zahlreichen Begegnungen kommt, Freunde, die getrennt waren, sich wiederfinden und das Jahr des Herrn 1428 heraufzieht.
Ein Jahr, das ereignisreich zu werden verspricht.
E r ritt langsam und nachdenklich zurück, den Blick auf die Mähne gesenkt, gestattete er seinem Pferd, schläfrig dahinzuzockeln
und fast wie von selbst seinen Weg zu suchen. Die Straße nach Breslau überquerend, nahm er Abkürzungen, ritt auf demselben
Weg zurück, auf dem er gekommen war. Er beeilte sich nicht, obwohl es zu dämmern begann und die rote Sonnenkugel bereits hinter
den Wipfeln der Bäume versank.
Das Pferd schnaubte, seine Hufe hämmerten über Balken und Bretter, Reynevan hob plötzlich den Kopf und zog die Zügel an. Früher
als erwartet war er zu dem Steg gelangt, der die Ränder einer bewaldeten Schlucht miteinander verband, in deren Abgrund ein
flinker Gebirgsbach toste und schäumte. Der Steg war nicht sehr breit, aber er wankte und war schon ziemlich morsch. Als er
zu Jutta eilte, hatte er ihn zu Pferd überquert. Jetzt zog er es vor, abzusitzen und das immer wieder schnaubende Pferd am
Zügel hinüberzuführen.
Er hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als er sah, dass zwischen den Buchen hinter dem Steg ein Reiter im schwarzen
Mantel auftauchte.
Reynevan erstarrte. Instinktiv blickte er sich um, aber das Pferd auf dem Steg zu wenden und umzukehren, davon konnte er nicht
einmal träumen. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Auch auf der anderen Seite, hinter ihm, war ein Reiter aufgetaucht. |455| Reynevan knirschte mit den Zähnen und verfluchte im Stillen seine Sorglosigkeit und seine Träumerei.
Zu dem am Ende des Steges wartenden Reiter gesellte sich noch ein zweiter. Reynevan fasste Zügel und Trense des Pferdes fester.
Er tastete nach dem Griff seines Stiletts. Und wartete darauf, wie sich alles weiterentwickeln würde.
Die beiden, die ihm den Weg abgeschnitten hatten, warteten ebenfalls darauf, keiner von ihnen sagte ein Wort oder machte auch
nur eine Bewegung. Reynevan blickte vom Steg aus nach unten. Was er dort sah, gefiel ihm keineswegs. Die Schlucht war tief,
und die Felsen hatten, vom schäumenden Wasser umtost, schrecklich spitze Ecken und Kanten.
»Wer seid Ihr?«, fragte er, obwohl er wusste, wer sie waren. »Was wollt Ihr von mir?«
»Du bist derjenige, der etwas von uns will!«, antwortete der hinter ihm und schob seine Kapuze aus dem Gesicht. »Es wird Zeit,
dass du sagst, was. Und auf wessen Befehl!«
Reynevan erkannte ihn sofort, es war jener Hochgewachsene, Dunkelgesichtige mit dem Aussehen eines Handwerksgesellen auf Wanderschaft.
Der ihn in der Schenke in Lauenbrunn zuerst beobachtet und dann gerettet hatte, indem er ihm ein Pferd brachte.
Auch die anderen zeigten ihm jetzt ihr Gesicht. Einen von den beiden Männern kannte er ebenfalls. Das war der rosige Blonde
mit dem vorstehenden Kinn, derselbe, der zwei Wochen zuvor mit einer andalusischen Navaja in der Hand in seine Kammer gestürmt
war. Den dritten, dessen dürres, knochiges Gesicht an einen Totenkopf erinnerte, kannte er
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