Gottesstreiter
mit Beginn des Frühjahrs in Schlesien einfallen würden. Urban
Horn wollte dies weder bestätigen noch abstreiten, er tat eher geheimnisvoll. Von Reynevan bedrängt, lüftete er schließlich
einen Zipfel des Geheimnisses. Dass Prokop |463| in Schlesien einfallen würde, behauptete er, sei mehr als gewiss.
»Die Schlesier und die Glatzer sind dreimal mit Waffen in die Gegend von Braunau und Nachod eingefallen, im Jahre einundzwanzig,
im Jahre fünfundzwanzig und in diesem Jahr im August, nach dem Sieg von Tachau. Die Grausamkeiten, die sie dort begangen haben,
erfordern eine ebenso grausame Rache. Dem Bischof von Breslau und Puta von Czastolovice gebührt eine gründliche Lektion, und
zwar eine, die sie in hundert Jahren nicht vergessen werden. Das ist notwendig, um die Moral der Armee und der Bevölkerung
zu heben.«
»Aha.«
»Das ist aber noch nicht alles. Die Schlesier haben die Wirtschaftsblockade so vervollkommnet, dass sie praktisch den gesamten
Handel lahm gelegt haben. Sie riegeln die Wege für Waren aus Polen äußerst wirksam ab. Diese Blockade kommt die Böhmen teuer
zu stehen, und wenn sie noch länger andauert, kann sie ihnen sogar das Leben kosten. Die Papisten und die Anhänger des Luxemburgers
können die Hussiten im Kampf nicht bezwingen, auf den Schlachtfeldern erleiden sie eine Niederlage nach der anderen. Im Wirtschaftskrieg
hingegen fangen sie an, zu Gewinnern zu werden, und versetzen den Hussiten dadurch empfindliche Schläge. Das darf nicht länger
sein. Die Blockade muss gebrochen werden. Und Prokop wird sie brechen. Und bei der Gelegenheit wird er, wenn es ihm gelingt,
Schlesien das Rückgrat brechen. Mit lautem Knirschen. So, dass es hundert Jahre lang gelähmt bleibt.«
»Nur darum soll es gehen?«, fragte Reynevan, die Enttäuschung, die in seiner Stimme mitschwang, kaum verbergend. »Nur darum?
Und was ist mit der Mission? Mit der Sendung? Damit, das wahre Wort Gottes hinüberzutragen? Was ist mit dem Kampf um den wahren
apostolischen Glauben? Um die Ideale? Um Gerechtigkeit im Volke? Um eine neue, bessere Welt?«
»Aber natürlich!« Horn hob den Kopf und lächelte mit starren |464| Mundwinkeln. »Darum geht es auch. Um die neue, bessere Welt und den wahren Glauben. Das ist so selbstverständlich, dass man
es gar nicht mehr zu erwähnen braucht. Deshalb habe ich es auch nicht erwähnt.«
»Der Angriff auf Schlesien«, sagte er, die lange, auf ihnen lastende Stille beendend, »ist also sicher, er wird, das ist mehr
als wahrscheinlich, im Frühjahr erfolgen. Was ich aber immer noch nicht weiß, ist, aus welcher Richtung Prokop zuschlägt.
Wo wird er einfallen: Kommt er über Lewin? Durch die Mittelwalder Pforte? Von Landeshut her? Vielleicht kommt er auch von
der Lausitz her und erteilt zuerst dem Sechsstädtebund eine Lehre? Das weiß ich nicht. Aber ich möchte es gerne wissen. Wo
zum Teufel steckt schon wieder dieser Tybald Raabe?«
Tybald Raabe kehrte am zwölften Dezember, dem Freitag vor dem dritten Advent, zurück. Die von Horn erhofften Informationen
brachte er nicht mit, dafür aber jede Menge Klatsch. In Krakau hatte Königin Sonka am St.-Andreas-Tag dem polnischen König
Jagiełło einen dritten Sohn mit Namen Kasimir geboren. Die Freude der Polen wurde durch das Horoskop des berühmten Magiers
und Astrologen Heinrich von Brieg etwas getrübt, wonach der dritte Sohn Jagiełłos unter einer ungünstigen Konjunktion empfangen
und geboren worden sei; unter seiner Regentschaft, sagte der Astrologe voraus, werde das Königreich Polen von Unglück heimgesucht
werden und viele Niederlagen erleiden. Reynevan rieb sich die Stirn und dachte nach. Heinrich von Brieg kannte er, und er
wusste auch, dass dieser seine Horoskope bei Telesma im »Erzengel« kaufte. Und Telesmas Horoskope erfüllten sich immer. Voll
und ganz.
Urban Horn interessierte das Schicksal der Jagiellonen-Dynastie nur mäßig, das war deutlich zu sehen. Er wartete auf andere
Nachrichten. Noch bevor Tybald Raabe sich richtig ausruhen konnte, wurde er schon wieder entsandt.
|465| Nach dem dritten Adventssonntag setzten die ersten Schneestürme ein. Trotzdem ritt Reynevan mehrere Male nach Weißkirchen,
um Jutta de Apolda zu sehen. Der Kälte wegen konnten sie sich nicht mehr im Wald treffen, die »Begegnungen« fanden also mit
Erlaubnis der lächelnden Äbtissin ganz offen im Klostergarten statt, vor den neugierigen Augen der grau gewandeten
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