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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Horn. Die Freunde begrüßten sich überschwänglich, kurz darauf war aber Horn an der Reihe, sich
     zu wundern, als nämlich Drosselbart, Řehors und Bisclavret vor ihm aufmarschierten.
    »Da hätte ich ja eher noch den Tod erwartet«, gestand er Reynevan, als sie nach der Vorstellungsrunde wieder allein waren.
     »Neplach hat mich geschickt, damit ich dir helfe, Vogelsang zu suchen. Und du, sieh einer an, hast sie nicht nur gefunden,
     sondern sie auch auf erstaunliche Weise gezähmt. Gratuliere, mein Freund, ich gratuliere dir von Herzen. Da wird Prokop sich
     freuen. Er zählt auf Vogelsang.«
    »Wer wird ihm die Nachricht überbringen? Tybald?«
    »Selbstverständlich Tybald. Reynevan?«
    »Ja?«
    |461| »Dieser Vogelsang   ... Das sind nur drei   ... Ein bisschen wenig   ... Waren das nicht mehr?«
    »Schon. Aber die haben sich verfranzt.«
     
    Bevor noch die Wahrheit die Stiefel anzieht, hat die Lüge bereits die halbe Welt durchquert – ein längeres Beisammensein mit
     Vogelsang bewies unleugbar die Richtigkeit dieses Sprichwortes. Alle drei logen ununterbrochen, ständig, bei jeder sich bietenden
     Gelegenheit, Tag und Nacht, unter der Woche und sonntags. Sie waren geradezu notorische Lügner, Leute, für die der Begriff
     Wahrheit überhaupt nicht existierte. Zweifellos war dies die Folge ihres jahrelangen Daseins als Agenten – also des So-tun-als-ob,
     der Lügen und Vorwände.
    Infolgedessen hatte man keine Sicherheit, nicht einmal was ihre Person, ihren Lebenslauf und ihre Nationalität betraf. Bisclavret
     zum Beispiel gab sich als Franzose aus, als französischer Ritter, er stellte sich gern als gallischer Krieger vor, als
miles gallicus
. Die beiden anderen änderten diesen Ausdruck gern ab in
morbus gallicus
, was Bisclavret freilich nicht das Geringste ausmachte, es schien, als sei er daran gewöhnt. Er habe einst, behauptete er,
     einer der Banden der berühmten Écorcheurs angehört, jener grausamen Räuber, die ihre Opfer nicht nur ausraubten, sondern ihnen
     bei lebendigem Leibe die Haut abzogen. Dieser Angabe widersprach allerdings ein wenig sein Akzent, der ihn eher in der Gegend
     von Krakau als in Paris ansiedelte. Aber auch dieser Akzent konnte vorgetäuscht sein.
    Der kadaverhafte Drosselbart machte erst gar kein Geheimnis daraus, dass er einen angenommenen Namen trug.
Verum nomen ignotum est
, pflegte er zu sagen. Auf seine Nationalität hin angesprochen, erklärte er, ziemlich allgemein, er sei
de gente Alemanna.
Das konnte wahr sein, wenn es denn keine Lüge war.
    Řehors gab, was seine Herkunft anbelangte, weder ein Land noch eine Gegend an, er sprach nicht davon. Sprach er aber von anderen
     Dingen, bildeten sein Akzent und seine Wortwahl ein |462| derart unglaubliches, irreführendes und unwahrscheinliches Durcheinander, dass man schon nach den ersten Sätzen nicht mehr
     wusste, was man denken sollte. Und darum ging es Řehors vermutlich auch.
    Alle drei sendeten aber ganz bestimmte, charakteristische Signale   – Reynevan hatte lediglich zu wenig Erfahrung, um sie zu erkennen und zu entschlüsseln. Alle drei Mitglieder von Vogelsang
     litten an chronischer Bindehautentzündung, rieben sich oft unwillkürlich das Handgelenk, und wenn sie aßen, schirmten sie
     mit dem Unterarm Teller oder Schüssel ab. Als Scharley sie sich später ansah, hatte er diese Signale schnell gedeutet. Drosselbart,
     Řehors und Bisclavret hatten den größten Teil ihres Lebens in Gefängnissen verbracht. In Kerkern, in Ketten.
     
    Wenn es um dienstliche Angelegenheiten ging, hörten die Vogelsang-Leute auf zu lügen und wurden bis zum Überdruss konkret
     und sachlich. In einigen bis tief in die Nacht hinein andauernden Gesprächen lieferten sie Horn und Reynevan Berichte darüber,
     was sie in Schlesien vorbereitet hatten. Drosselbart, Řehors und Bisclavret gaben nacheinander Meldung über angeworbene und
     »schlafende« Agenten, die sie in den meisten Städten Schlesiens hatten, besonders in jenen, die an den als wahrscheinlich
     anzunehmenden Einmarschstraßen der Hussitenarmee lagen. Ohne zu widerstreben – ja sogar mit einem gewissen Stolz auf ihre
     Ehrlichkeit   –, legten die Vogelsang-Leute ihre Finanzen dar, die trotz beträchtlicher Ausgaben immer noch mehr als zufriedenstellend waren.
    Die Gespräche über Pläne und Strategien machten Reynevan deutlich, dass nur noch Wochen sie von Angriff und Krieg trennten.
     Das Vogelsang-Trio nahm als absolut sicher an, dass die Hussiten

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