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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in den Glatzer Kessel. Irgendwann standen
     sie an einer Wegkreuzung, auf einem Weg, der am rechten Ufer der Glatzer Neiße entlangführte. Von Süden her kamen Massen von
     Flüchtlingen den Weg heraufgezogen. In wilder Flucht und Panik.
    Sie mischten sich unter die Menge. Keiner achtete auf sie. Keiner interessierte sich für sie. Keinen interessierte ein gewöhnliches
     Verbrechen, ein unwichtiger Mord, ein unwichtiges Opfer, ein unwichtiger Täter. Es gab Wichtigeres. Viel Wichtigeres. Viel
     Bedrohlicheres. In den Stimmen der Flüchtlinge aus dem Süden war dies zu hören.
    Bobischau war niedergebrannt worden. Lewin war niedergebrannt worden. Die Burgen Homole und Schnallenstein wurden belagert.
     Mittelwalde stand in Flammen. Das Tal der Glatzer Neiße hinab ziehen brennend und mordend die Angreifer. |518| Die mächtige, vieltausendfache Armee der hussitischen Ketzer. Die berühmten Waisen unter der Führung des berühmten Jan Královec.
     
    Fast ein halbes Jahrhundert danach rutschte der alte Chronist im Augustinerkloster von Sagan auf seinem harten Schemel hin
     und her, rückte ein Pergament auf seinem Pult zurecht, glättete es, tauchte seine Feder in die Tinte und begann zu schreiben.
    »In medio Quadragesimae anno Domini MCCCCXXVIII traxerunt capitanei de secta Orphanorum Johannes dictus Králove
c
, Procopius Parvus dictus Prokoupko et Johannes dictus Colda de Zampach in Silesiam cum CC equitibus et IV milibus peditum
     et cum CL curribus et versus civitatem Glatz processerunt. Civitatem dictam Mittelwalde et civitatem dictam Landeck concremaverunt
     et plures villas et oppida in eodem districtu destruxerunt et per voraginem ignis magnum nocumentum fecerunt   ...«
    Der Mönch hob plötzlich angstvoll den Kopf, er hatte Rauch gerochen. Aber das war nur das Unkraut, das im Klostergarten verbrannt
     wurde.

|519| Neunzehntes Kapitel
    in dem sich Reynevan bemüht – intensiv, verbissen und auf vielerlei Art, oder wie der Chronist ein halbes Jahrhundert später
     schreiben wird,
diversis modis
–, bei der Eroberung von Glatz zu helfen.
     
    Glatz, dessen Silhouette sie am Morgen erblickten, zeigte sich als eine an den Hang geschmiegte Masse roter Dachziegel und
     goldfarbener Strohdächer, die sich bis hinunter zum Ufer des den Hang netzenden Mühlgrabens zogen. Den Hang krönte die mit
     Türmen verzierte Burg, die sich in der hier schon breit dahinfließenden Neiße spiegelte.
    Immer noch versperrten die Karren der Flüchtlinge samt ihrem stinkenden Inhalt und den ebenso stinkenden Kindern die Straße.
     Je näher man der Stadt kam, umso mehr Wagen wurden es, der Lärm wuchs, die Kinder schienen sich von selbst zu vermehren, und
     auch der Gestank nahm mächtig zu.
    »Vor uns liegen der Alte Rossmarkt und die Vorstadt.« Řehors gab mit der Hand die Richtung an. »Gleich kommt die Brücke über
     den Königshainer Bach.«
    Dieser erwies sich als munter dahineilendes Bächlein, und die Brücke war völlig verstopft. Reynevan und seine Gefährten folgten
     daher dem Beispiel anderer Reiter und lenkten ihre Tiere ins Wasser, das diese auch mühelos durchquerten. Hier standen jetzt
     zu beiden Seiten der Straße Hütten, Katen und Schuppen, die Menschen gingen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach und hatten
     für die Vorüberziehenden kaum mehr als einen flüchtigen Blick übrig. Eine Zeit lang kamen sie ziemlich rasch voran, aber dann
     war der Weg erneut versperrt. Diesmal gab es keine Möglichkeit zum Ausweichen.
    |520| »Die Brücke über die Neiße«, sagte Bisclavret, der in den Steigbügeln stand. »Da vorn ist alles dicht. Da können wir gar nichts
     tun. Wir müssen warten.«
    Sie warteten. Die Schlange bewegte sich nur langsam vorwärts, und so hatten sie Gelegenheit, die Landschaft zu bewundern.
    »Oho«, brummte Řehors, »es hat sich vieles verändert. Sie haben die Mauern ausgebessert, am Ufer des Mühlgrabens sehe ich
     neue Schanzen, Gräben und Palisaden   ... Herr Puta war nicht untätig. Man sieht, er hat vorgesorgt.«
    »Er hat aus Ambros ’ Zug vor drei Jahren gelernt«, brummte Scharley zurück. »Seht ihr das dort?«
    Das Gedränge auf der Straße wurde durch Wagen vergrößert, die mit Lebensmitteln, Steinen und Bündeln mit Bolzen beladen waren.
    »Sie bereiten sich auf die Verteidigung vor   ... Was ist denn dort los? Reißen die etwa jetzt Gebäude ab?«
    »Das Franziskanerkloster«, erklärte Bisclavret. »Sie handeln klug, wenn sie es abreißen. Im Falle einer

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