Gottesstreiter
sein blutbeschmiertes Gesicht zu. Es war klar, was er wollte. Reynevan seufzte.
»
Quare insidiaris animae meae
?
«, murmelte er. »Warum lauerst du mir auf, Saul?«
»Ich habe mich zu erkennen gegeben, und du musst es auch.« Der Magier lächelte. »Vorwärts, du vorsichtiger Zauberer von Endor.
Hab keine Angst.
Non veniet tibi quicquam mali.
«
|88| Gemeinsam sprachen sie die Beschwörung,
unisono
, mit der Kraft der gemeinsamen Magie fügten sie alle Gefäße aneinander und schlossen sie.
»Und dieser
doctor medicinae
«, erriet Scharley, »hat dich zur Gesellschaft der Magier geführt, die sich in der Apotheke ›Zum Erzengel‹ treffen. Die, zu
der wir jetzt hingehen.«
Scharley hatte richtig geraten. Sie waren bei den Tuchlauben, die Apotheke sah man bereits hinter einer Reihe von Spinnereien,
Webereien und Läden mit Seidenwaren. Über dem Eingang, hoch oben über der Tür, war ein Erker mit schmalen Fensterchen, den
die hölzerne Figur eines Erzengels zierte. Der Zahn der Zeit hatte ordentlich an der Figur genagt, so dass es unmöglich war
herauszufinden, welchen Erzengel sie darstellte. Reynevan hatte nie danach gefragt. Weder beim ersten Mal, als Fraundinst
ihn im August 1426, an einem Donnerstag, auf den der Tag der Enthauptung Johannes ’ des Täufers fiel, dorthin geführt hatte,
noch später.
»Bevor wir hineingehen«, Reynevan hielt Scharley zurück, »noch eines. Eine Bitte. Ich bitte dich sehr darum, dass du dich
zurückhältst.«
Scharley stampfte mit dem Fuß auf, um ein Restchen Dreck vom Schuh zu schütteln, das auf den ersten Blick wie Hundekot aussah,
aber sicherlich keiner war, denn in der Gegend liefen genügend Kinder umher.
»Wir sind Samson einiges schuldig«, fuhr Reynevan mit Nachdruck fort.
»Zum Ersten«, Scharley hob den Kopf, »hast du mir das schon gesagt. Zum Zweiten: Das bedarf gar keiner Frage. Er ist unser
Freund, diese vier Worte besagen alles.«
»Ich freue mich, dass du das so aufnimmst. Ob du daran glaubst oder nicht, ob du zweifelst oder nicht, nimm es einfach hin,
dass Samson in unserer Welt gefangen ist. Er ist in einer ihm fremden körperlichen Hülle eingeschlossen, und zwar nicht der
schönsten, wie du zugeben musst. Er tut, was er |89| kann, um sich daraus zu befreien, er sucht Hilfe ... Vielleicht findet er sie ja endlich hier in Prag, im ›Erzengel‹, vielleicht sogar heute ... Denn es ist gerade ...«
»Denn es ist gerade«, unterbrach ihn der Demerit mit leichter Ungeduld in der Stimme, »ein weltberühmter Magier aus Salzburg
im ›Erzengel‹ zu Gast, ein
magnus nigromanticus
. Das, was den Prager Magiern nicht gelungen ist, gelingt vielleicht ihm. Das hast du mir schon gesagt. Wenigstens ein paar
Mal.«
»Und du hast jedes Mal gelacht und spöttisch das Gesicht verzogen.«
»Das mache ich unwillkürlich. So reagiere ich, wenn ich von Magie höre, vom Eingeschlossensein ...«
»Ich bitte dich darum«, unterbrach ihn Reynevan ziemlich schroff, »dich heute mit deinen unwillkürlichen Reaktionen etwas
zurückzuhalten. Aus Freundschaft zu Samson nicht zu lachen und keine Grimassen zu schneiden. Versprichst du mir das?«
»Ich verspreche es dir. Ich werde keine Grimassen schneiden. Ich verziehe nicht die Miene. Nicht ein einziges Mal, Gott soll
mich strafen, wenn ich laut lache, sobald die Rede ist von Zauber, von Dämonen, von Parallelwelten und -existenzen, von Astralleibern,
von ...«
»Scharley!«
»Ich bin ja schon still. Gehen wir hinein?«
»Wir gehen hinein.«
In der Apotheke war es finster, der Eindruck des Dunklen wurde durch die Farbe der Wandtäfelung und der Möbel noch verstärkt;
wenn man aus der Sonne kam, so wie jetzt eben, konnte man einen Moment überhaupt nichts sehen. Man konnte nur stehen bleiben,
blinzeln und die schweren Gerüche von Staub, Kampfer, Pfefferminze, Honig, Ambra, Salpeter und Terpentin in die Nasenflügel
aufsteigen lassen.
»Zu Diensten, die Herren ... zu Diensten ... Was wünschen die Herren?«
|90| Hinter dem Kontor tauchte genauso wie vor einem Jahr, am Tage der Enthauptung Johannes ’ des Täufers, Beneš Kejval auf, dessen
Glatze im Halbdunkel glänzte.
»Womit«, fragte er, genau wie damals, »womit kann ich dienen?«
»
Cremor tartari
«, hatte damals Svatopluk Fraundinst leichthin gefragt, »habt Ihr vorrätig?«
»
Cremor
«, der Apotheker hatte sich über die Glatze gestrichen, »
tartari
?«
»So und nicht
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