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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schakale zu heulen. Der Altardiener von St. Elisabeth zerrte an seinen Ketten, er riss
     daran, brüllte und schlug mit dem Hinterkopf immer wieder gegen den Pfahl. Die Augen des Malers, der das Polyptychon erschaffen
     hatte, belebten sich, wurden klarer, und der Anblick der Flammen und der Rauchschwaden riss ihn aus seiner Lethargie. Die
     kahl geschorene Frau begann zu jammern, aus ihrer Nase floss der Rotz in langen Fäden, Speichel tropfte von ihrem Mund. Der
     Prophet schrie weiterhin seine Flüche heraus, aber seine Stimme veränderte sich. Sie wurde immer höher und dünner, je näher
     das Feuer kroch.
    »Brüder! Die Kirche ist eine Hure! Der Papst ist der Antichrist!«
    Die Menge heulte, schrie und klatschte Beifall. Der Rauch wurde dichter und verwehrte die Sicht. Die Flammen krochen am Holz
     entlang und strebten nach oben. Aber die Scheiterhaufen waren hoch. Eigens angelegt, um das Schauspiel zu verlängern.
    »Seht! Der Antichrist naht! Seht! Seht ihr ihn nicht? Sind eure Augen denn blind? Er ist vom Stamme Dan! Ein Vierteljahr währt
     seine Herrschaft! In Jerusalem wird seine Kirche stehen! Sein Name ist sechs, sechs und sechs, Evanthas, Lateinos, Teitan!
     Sein Gesicht ist das eines wilden Tieres! Sein rechtes Auge wie der Morgenstern, sein Mund wie eine Elle, die Zähne eine Spanne
     lang! Brüder! Seht ihr denn nicht! Brüüü   ...«
    Das Feuer überwand und brach schließlich den passiven Widerstand des feuchteren Holzes, fraß sich rasend schnell hinauf, lohte
     auf und prasselte. Über den Scheiterhaufen erhoben sich schreckliche, unmenschliche Schreie. Eine heiße Welle verjagte den
     Qualm, und für einen Moment, einen ganz kurzen |179| Moment, waren in dieser roten Hölle die Silhouetten der sich an den Pfählen windenden menschlichen Gestalten zu sehen. Das
     Feuer, so schien es, schlug ihnen direkt in die zum Schrei aufgerissenen Münder.
    Der Wind, der mit Gregor Hejncze Erbarmen zu haben schien, trug den Gestank zur gegenüberliegenden Seite.
     
    Die vier schattigen Seitenarkaden im Garten des Prämonstratenserklosters auf dem Elbing sollten die Meditation unterstützen,
     an die vier Flüsse des Paradieses, die vier Evangelisten und die vier Kardinaltugenden erinnern. Jener Wall an Disziplin,
     als solchen hatte ihn der heilige Bernhard bezeichnet, imponierte durch Ordnung und Ästhetik. Er strahlte Ruhe aus.
    »Du bist recht schweigsam, Greggele«, bemerkte Konrad von Oels, der Bischof von Breslau, während er den Inquisitor aufmerksam
     betrachtete. »So, als wärst du nicht ganz gesund. Ist es das Gewissen? Oder der Magen?«
    Das Kloster. Der Klostergarten. Der Garten. Demut. Ruhe. Ruhe bewahren.
    »Mit staunenswerter Ausdauer und Hartnäckigkeit erlauben sich Euer Bischöfliche Gnaden, mich äußerst vertraulich anzureden.
     Daher erlaube auch ich mir eine gewisse Hartnäckigkeit: Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass ich päpstlicher Inquisitor
     bin, Delegat des Apostolischen Stuhles für die Diözese Breslau. Aufgrund meines Amtes gebührt mir sowohl Respekt wie auch
     der entsprechende Titel. ›Greggele‹, ›Hänschen‹, ›Fränzchen‹ oder ›Schwänzchen‹ mögen Euer Gnaden Euren Bediensteten, Kanonikern,
     Beichtigern oder Arschkriechern vorbehalten.«
    »Euer Inquisitorische Gnaden«, der Bischof versah die Anrede mit all der verächtlichen Übertreibung, derer er mächtig war,
     »müssen mich nicht daran erinnern, was ich darf und was nicht. Das weiß ich selbst am besten. Und das ist ganz einfach: Ich
     darf schlichtweg alles. Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, teile ich Euer Gnaden mit, dass ich im Briefwechsel |180| mit Rom stehe. Mit dem Apostolischen Stuhl eben. Ein Ergebnis davon kann durchaus sein, dass sich die viel versprechende Karriere
     Eurer Gnaden als nicht viel haltbarer erweist als eine Fischblase. Bums! Und schon ist sie dahin. Dann ist die höchste Würde,
     auf die Euer Gnaden in dieser Diözese rechnen können, ein Pöstchen bei mir als Diener, als Kanonikus oder Arschkriecher, mit
     allem, was dazugehört, auch mit der vertraulichen Anrede ›Greggele‹. Oder ›Schwänzchen‹, wenn Ihr wollt. Denn die einzige
     Alternative wäre der Name ›Bruder Gregorius‹ und der Aufenthalt in einem stillen Kloster inmitten malerischer, aber dichter
     Wälder, an einem Ort, der von Breslau so weit entfernt ist wie Armenien.«
    »In der Tat«, Gregor Hejncze verschränkte die Finger ineinander und lehnte sich ebenfalls an eine der

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