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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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weißt, du glaubst doch nicht etwa an Märchen und Übertreibungen? Du kannst einem Ertrunkenen das Leben
     nicht zurückgeben, wenn du sein
hevai
zerstörst. Das ist Blödsinn, Aberglauben, ausgedachtes Zeug. Nichts erreichst du, du zerstörst nur seine Aura. Und damit bewirkst
     du, dass er ein zweites Mal stirbt, unter großen Qualen, so großen, dass die Aura dies nicht aushalten kann und ebenfalls
     stirbt. Wenn dies also jemand war, der dir nahe stand   ...«
    »Es war niemand, der mir nahe stand«, unterbrach ihn der Eisenäugige. »Und ich bin nicht abergläubisch. Gib mir das
hevai
, nur für ein paar Augenblicke. Dann gebe ich es dir zurück, unversehrt. Und lasse dich frei.«
    »Ha!« Der Wassermann blinzelte mit allen seinen Lidern. »Wenn das so ist, was in aller Welt sollte dann diese Falle? Warum
     hast du mich gefangen, Druck auf mich ausgeübt und meine Nerven gereizt? Du hättest kommen und mich bitten können   ...«
    »Beim nächsten Mal.«
    Am Ufer gluckerte etwas, es stank nach Schlamm und totem Fisch. Nach einer Weile gelangte die Frau des Wassermanns, langsam
     und ängstlich wie eine Schlammschildkröte vor sich hin kriechend, bei ihnen an. Der Eisenäugige betrachtete sie interessiert,
     sah er doch zum ersten Mal in seinem Leben ein Wasserweibchen aus dem Goplo-See. Auf den ersten Blick unterschied sie sich
     nicht viel von ihrem Mann, aber das geübte Auge des Priesters erfasste auch weniger auffällige Einzelheiten. Glich der schlesische
     Wassermann einem Frosch, so kam man bei diesem polnischen Wasserweibchen auf den Gedanken, es könnte eine in einen Frosch
     verwandelte Prinzessin sein.
    |172| Der Wassermann nahm seiner Frau etwas ab, das an eine große, algenbewachsene Teichmuschel erinnerte. Aber unter den Algen
     drang Licht hervor. Die Teichmuschel leuchtete. Phosphoreszierte. Wie Moder. Oder wie eine Farnblüte.
    Der Eisenäugige scharrte mit dem Fuß den Sand des magischen Kreises beiseite und befreite so den Wassermann aus seiner Falle.
     Dann nahm er aus dessen Händen das
hevai
entgegen. Und er spürte sogleich, wie das Gefäß pulsierte und zitterte, wie das Pulsieren und der Schauder von seiner Hand
     auf den ganzen Körper übergingen, wie es ihn durchdrang und durchströmte, um schließlich über den Nacken in sein Gehirn zu
     kriechen. Er hörte eine Stimme, zuerst leise wie Insektensummen, dann lauter und vernehmlicher.
    »...   Stunde unseres Todes   ... Jetzt und in der Stunde unseres Todes   ... Elencia   ... Mein Kind   ... Mein Kind   ...«
    Das war natürlich niemandes Stimme, das war kein der Sprache fähiges Wesen, auch keines, mit dem man hätte sprechen oder das
     man nach der Art der Nekromanten hätte befragen können. Wie in Amset, Hep, Duamutef und Qebehsenuef, den ägyptischen Kanopen,
     wie im
anguinum
, dem Ei der Druiden, wie im Kristall
oglain-nan-Druighe
, so war auch in jenem
hevai
wie in jedem anderen vergleichbaren Gefäß die Aura gefangen, oder eher das Fragment einer Aura, das sich nur an eines erinnerte
     – den Moment, der dem Tod unmittelbar vorausgegangen war. Dieser Moment dauert für die Aura ewig. Eine unbedingte und absolute
     Ewigkeit lang.
    »Rettet mein Kind! Erbarmen! Jetzt und in der Stunde   ... Rettet mein Kind   ... Rettet meine Tochter   ... Lauf, Elencia, lauf, sieh dich nicht um! Versteck dich, versteck dich, verbirg dich in den Büschen   ... Sie werden sie finden   ... sie töten   ... Erbarme dich unser   ... Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes   ... Meine Tochter   ... Allerheiligste Jungfrau   ... In der Stunde unseres Todes, Amen   ... Elencia! Lauf, Elencia! Lauf weg! Lauf!«
    Der Priester bückte sich und legte das in seinem inneren |173| Licht pulsierende
hevai
am Ufer des kleinen Teiches ab. Sanft und vorsichtig. Damit er es nicht zerbrach. Nicht störte. Die ewige Ruhe nicht störte
     und verletzte.
     
    »Ritter Hartwig von Stietencron.« Tybald Raabe erriet es sofort. »Und seine Tochter. Aber kann man daraus schließen, dass
     sie überlebt hat? Dass es ihr gelungen ist, zu fliehen oder sich zu verstecken? Sie hätten sie später töten können, nachdem
     sie ihn ertränkt hatten.«
    »Die Rechnung geht nicht auf«, erwiderte der Eisenäugige ungerührt. »Der Wassermann hat sechzehn Körper gezählt, die in den
     Teich geworfen wurden. Den Steuereinnehmer, Stietencron, sechs Soldaten von der Eskorte, vier Mönche, vier Pilger. Da fehlt
     eine, Elencia von

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