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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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dass ihre trotzige, aufrührerische Berufswahl ihr Glück bedeuten würde. Sie fühlte sich wohl. Fast alles, was sie über polizeiliche Arbeit wusste, hatte sie von ihrer verschlossenen Mentorin gelernt. Obwohl Hanne Wilhelmsen durch ihren eigenwilligen Stil immer unpopulärer wurde, hörte Silje niemals auf, sie zu bewundern. Als Hauptkommissarin Wilhelmsen bei einem dramatischen Einsatz in Nordmarka angeschossen wurde und danach querschnittsgelähmt war, trauerte Silje wie um eine Schwester. Dass Hanne den wenigen Freunden den Rücken kehrte, die in dem großen, heruntergekommenen Polizeigebäude auf Grønlandsleiret zu ihr hielten, hatte Silje nie verwinden können.
    Silje Sørensen war stolz auf ihren Beruf, aber verzweifelt über die Bedingungen, unter denen sie ihn ausüben musste.
    Sie beschloss, die Fälle nach ihrem Gewicht zu sortieren, Messerstechereien und Kneipenschlägereien ohne lebensgefährliche Verletzungen legte sie auf einen Stapel für sich.
    Ihr kommt vermutlich ungeschoren davon, dachte sie resigniert und versuchte zu vergessen, dass sie es bei mehreren dieser Fälle mit bekannten Tätern zu tun hatten. Die Einstellung der Ermittlungen würde die Opfer gewaltig provozieren. So war es nun aber gekommen, und im Hinblick auf alle Richtlinien, die Generalstaatsanwaltschaft und Polizeileitung erlassen hatten, war es verständlich, wenn sie die schwerwiegenden Fälle vor den minder schwerwiegenden an die Reihe kommen ließ. Die Öffentlichkeit konnte die polizeiliche Definition von schwerwiegenden Vergehen vielleicht nicht verstehen, aber da konnte man nichts machen.
    Nach einer knappen Stunde hatte sie die Fälle auf fünf Stapel verteilt.
    Silje trank den letzen Rest lauwarmen Kaffee, dann nahm sie drei Stapel und legte sie hinter sich in den Schrank.
    Blieben zwei.
    Der kleinere bestand aus Mordfällen. Drei Ordner. Der erste ziemlich dünn, der zwei fast ebenso dünn. Der dritte so dick, dass sie ihn mit zwei Gummibändern zusammenhalten musste.
    Sie sprang auf und lief zur Pinnwand, die dem Schreibtisch gegenüber angebracht war. Sie überflog alle Zettel, die dort hingen, dann legte sie einen auf den Schreibtisch und warf die anderen in den riesigen Papierkorb. Aus dem Schrank nahm sie drei A4-Bögen. Oben an der Pinnwand war gerade Platz für alle drei nebeneinander.
    »Runar Hansen«, schrieb sie mit rotem Filzstift auf den ersten Bogen.
    19. 11. 08.
    Auf den nächsten schrieb sie »Hawre Ghani«.
    24. 11. 08.
    Sie nagte am Stift und überlegte, ehe sie ein Fragezeichen hinzufügte.
    24. 11. 08?
    Noch war es nicht möglich, Hawre Ghanis Todeszeitpunkt genau zu bestimmen, aber dass er ermordet worden war, stand fest. Die Rechtsmedizin hatte klare Beweise dafür gefunden, dass er erwürgt worden war, trotz des kläglichen Zustands der Leiche. Dass der Junge sich selbst an einem Stahldraht aufgehängt haben sollte, bis sein Kopf sich fast vom Rumpf gelöst hatte, um sich danach ins Meer fallen zu lassen, war wenig wahrscheinlich. Die Rechtsmedizin hatte den Todeszeitpunkt nur angedeutet, aber die bisherigen Ermittlungen ließen nicht annehmen, dass der Junge noch am Leben gewesen war, nachdem er zuletzt am Montag, dem 24. November, vor dem Osloer Hauptbahnhof zusammen mit einem Freier gesehen worden war. Natürlich waren alle Überwachungskameras überprüft worden. Ohne Ergebnis. Das stimmte mit der Aussage des Straßenjungen Martin Setre überein. Der Typ hatte sie gleich vor dem Ausgang aufgelesen.
    Cleverer Teufel, dachte Silje und seufzte resigniert.
    »Marianne Kleive«, schrieb sie auf den letzten Bogen.
    19. 12. 08.
    Sie steckte die Kappe auf den Filzstift und trat zwei Schritte zurück. Dabei stieß sie gegen die Kante des Schreibtischs und setzte sich darauf.
    Drei Morde. Keiner davon aufgeklärt.
    Runar Hansen war ihr schlechtes Gewissen. Sie mochte den dünnen Ordner nicht einmal ansehen. Stattdessen starrte sie den Namen an, den nichtssagenden Namen eines Junkies, der im Sofienbergpark niedergeschlagen und ausgeraubt worden war, ohne dass irgendwer sich darum gekümmert hätte. Alles, was Runar Hansen bekommen hatte, waren eine kurze Untersuchung des Tatorts in den Stunden, nachdem er gefunden worden war, ein kurzer Obduktionsbericht und eine Notiz in Aftenposten . Sowie zwei Vernehmungen von Zeugen, die nur berichten konnten, dass Runar Hansen keinen festen Wohnsitz, keine feste Arbeit, dafür aber eine Schwester namens Trude gehabt hatte.
    Bei den Ermittlungen im Mord an Hawre

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