Gotteszahl
wir in diesem Fall unternommen haben. Festzustellen, wann er umgebracht worden ist, meine ich.«
»War er schwul?«
»Keine Ahnung. Aber egal: Denk an den Ruf der Gegend. Verstehst du dann, worauf ich hinauswill?«
Er kniff verdutzt die Lider zusammen, als er begriff. »Verflixt«, sagte er und fuhr sich mit der Hand über die blonden Bartstoppeln. »Komisch, dass der LLS noch nicht aufgeheult hat.«
Der Landesverband für Lesben und Schwule bedrängte das Justizministerium schon lange, Gewalt gegen Homosexuelle ernster zu nehmen. Das Problem, hatte Silje Sørensen immer gedacht, war, dass die Übergriffe auf Homosexuelle sich nicht sonderlich von anderen Übergriffen unterschieden, die im Suff geschahen. Auf Frauen. Auf Männer. Auf Heterosexuelle. Auf Homosexuelle. Die Leute tranken. Wurden aggressiv. Schlugen, stachen, vergewaltigten und mordeten. Für jedes homosexuelle Opfer hätte Silje hundert heterosexuelle aus dem Ärmel schütteln können. Sie verstand nicht, warum die Homos sich so aufregten.
Aber das hier war auffällig.
»Runar Hansen sucht einen Park auf, der bekannt ist für Ankauf, Verkauf und Tausch von Homosex«, sagte sie langsam. »Hawre Ghani verschwindet mit einem Freier. Marianne Kleive ist mit einer Frau verheiratet. Alle werden auf unterschiedliche Weise umgebracht, an verschiedenen Orten, und keins der Opfer hatte mit dem anderen zu tun. Soviel wir wissen jedenfalls. Aber …«
Sie kniff die Lider zusammen. »Ich trage also die Verantwortung für drei voneinander unabhängige Mordermittlungen, und alle haben möglicherweise etwas mit Homosexualität zu tun. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für so etwas?«
»Verdammt hoch«, sagte Knut Bork und knabberte an seinem Daumennagel herum. »Was soll das, zum Teufel? Und ganz im Ernst, Silje, warum hat bisher noch niemand einen möglichen Zusammenhang gesehen?«
Sie gab keine Antwort. Lange blickten sie schweigend auf die Pinnwand. »Der erste Fall interessiert einfach niemanden«, sagte sie dann plötzlich. »Über den zweiten Fall wissen wir nichts. Das heißt, die Leute haben in der Zeitung über einen Leichenfund im Hafenbecken lesen können, und sicher gab es auch ein paar Zeilen darüber, dass es sich um einen jungen Asylbewerber handelte. Aber das war alles. Was Marianne Kleive angeht, so ist dieser Fall …«
Sie zögerte so lange, dass er den Satz für sie vollendete. »Dieser Fall ist so ausgefallen und absurd, dass eigentlich niemand ihn mit der Tatsache in Verbindung bringt, dass eine Lesbe das Opfer war.«
Silje ging zur Pinnwand. Nahm die weißen Blätter und den Zeitungsausschnitt herunter, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. Knut Bork blieb mit verschränkten Armen stehen.
»Das hier«, sagte sie energisch. »Das hier werden du und ich für uns behalten. Bis auf Weiteres. Alles kann ein Zufall sein, wie auch alle Zusammenhänge der pure Zufall sein können, es kann aber auch …«
»… eine verdammt üble Geschichte sein«, vollendete Knut Bork, dessen Daumen jetzt blutete.
Zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen war Inger Johanne allein zu Hause, und es kam ihr fast beängstigend vor. Die Wohnung wirkte ohne die vertrauten Geräusche der Kinder immer so anders. Sie ertappte sich dabei, dass sie durch die Zimmer schlich, um keinen Lärm zu machen.
»Reiß dich zusammen«, murmelte sie und legte eine CD ein, die Line Skytter zusammengestellt, gebrannt und ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.
Kristiane würde bis Freitag bei Isak sein, und Ragnhild übernachtete jeden zweiten Mittwoch bei Inger Johannes Eltern.
Sie versuchte nun schon seit Stunden, Yngvar am Telefon zu erreichen, landete aber immer bei seinem Anrufbeantworter. Vermutlich war er in einer Besprechung. Als nach der unruhigen, verängstigten Nacht endlich der Tag gekommen war, hatte sie gewusst, dass sie mit ihm sprechen müsste. Es war kein Platz für noch mehr Zweifel wie in dieser Nacht, als sie immer wieder ihre Meinung geändert hatte. Jetzt stand ihr Entschluss fest, und das allein ließ sie die Lage schon ein wenig lichter sehen.
Wenn sie nur wüsste, was Kristiane wirklich beobachtet hatte. Es erschien ihr nicht ratsam, ihre Tochter noch weiter unter Druck zu setzen. Später vielleicht, dachte sie, als sie auf Socken umherschlich, ohne so recht zu wissen, was sie anfangen sollte.
Die Musik, die Line zusammengestellt hatte, entsprach nicht gerade Inger Johannes Geschmack. Sie ging zum CD-Gerät und drehte Kurt Nilsens
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