Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
auswendig.
Der Mann war in der That ein sonderbares Gemisch von natürlichem Scharfsinn und einfältiger Leichtgläubigkeit. Seine Sucht nach allem Wunderbaren, und seine Kräfte, es zu verdauen, waren gleich außerordentlich; und beide waren durch seinen Aufenthalt in dieser bezauberten Gegend bedeutend vermehrt worden. Keine Sage war für seinen geräumigen Magen zu plump oder zu ungeheuer. Es war oft sein Ergötzen, sich, wenn am Nachmittage die Schule entlassen war, auf das üppige Kleebett an dem kleinen Bach, der an seinem Schulhause dahinmurmelte, hinzustrecken, und hier des alten Mather’s schreckliche Geschichten zu durchlesen, bis die allmählig einbrechende Abend-Dämmerung den Druck vor seinen Augen in Nebel zusammenfließen ließ. Wenn er dann seinen Weg durch Moräste und Ströme und schauerliche Waldgegenden nach dem Pachterhause antrat, wo er gerade einquartiert ward, erregte jeder Ton der Natur, in dieser Zauberstunde, seine aufgeregte Einbildungskraft gewaltig: so der Klagelaut des
Whip-poor-will[[Schreiender Ziegenmelker (Caprimulgus vociferus); amerik. Vogel]]
von dem Abhange des Hügels; der ahnungsvolle Schrei des Brüllfrosches, dieses Verkündigers des Sturmes; das traurige Geächze der Nachteule; oder das plötzliche Rauschen aus ihrem Nest aufgeschreckter Vögel im Dickicht. Auch die Leuchtwürmer, welche an den dunkelsten Stellen sehr lebendig funkelten, erschreckten ihn dann und wann, wenn einer von ungewöhnlichem Glanze quer über seinen Pfad schwebte; und wenn, durch Zufall, ein großer Tölpel von Käfer die plumpen Flügel gegen seinen Kopf schlug, so war der arme Wicht nahe daran, seinen Geist über den Gedanken aufzugeben, daß er jetzt von einer Hexe bezeichnet worden sei. Seine einzige Zuflucht bei solchen Gelegenheiten, um entweder die Gedanken zu ersticken, oder die bösen Geister weg zu scheuchen, war, Psalmen zu singen; – und die ehrlichen Bewohner der schläfrigen Schlucht, wenn sie Abends vor der Thüre saßen, wurden oft mit Grauen erfüllt, wenn sie seine näselnde Melodie, »in verketteter Lieblichkeit lang hinausgezogen,« von dem entfernten Hügel oder die staubige Landstraße entlang daherschweben hörten.
Eine andere Quelle seines schauerlichen Vergnügens war es, die langen Winterabende bei den alten holländischen Frauen zuzubringen, während diese mit ihren Spinnrädern bei dem Feuer saßen, und eine Reihe von Aepfeln auf dem Herde briet und zischte; und ihre wunderbaren Erzählungen von Gespenstern und Kobolden, von spukenden Feldern, Bächen, Brücken und Häusern und namentlich von dem kopflosen Reiter, oder von dem »galoppirenden Hessen aus der Schlucht,« wie er zuweilen genannt wurde, anzuhören. Dagegen ergötzte er sie wieder mit seinen Anecdoten von Hexereien, von den furchtbaren Anzeichen und erschrecklichen Gesichten und Tönen in der Luft, welche in frühern Zeiten in Connecticut gewöhnlich waren; und setzte sie in gewaltige Furcht mit Betrachtungen über Cometen und Sternschnuppen; und mit der entsetzlichen Thatsache, daß die Welt sich durchaus drehe, und daß sie die Hälfte ihrer Zeit auf dem Kopfe stünden.
Wenn indessen alles dieß ganz angenehm war, während er sich behaglich in der Kaminecke eines Zimmers zusammendrücken konnte, welche das prasselnde Holzfeuer mit einem röthlichen Scheine ganz beleuchtete, und wo natürlich kein Gespenst sein Gesicht sehen lassen durfte, so ward es durch die Schrecken seines später folgenden Nachhauseganges theuer erkauft. Welche furchtbare Gestalten und Schatten belagerten seinen Weg in dem trüben, grausigen Glanze einer Schneenacht! – Mit welchem argwöhnischen Blicke betrachtete er jeden zitternden Lichtstrahl, der aus irgend einem entfernten Fenster über die öden Felder dahinstreifte! – Wie oft erschreckte ihn ein mit Schnee bedeckter Strauch, der wie ein in ein Leichentuch gehülltes Gespenst sich gerade in seinen Weg stellte! – Wie oft schrak er mit starrem Entsetzen vor dem Schall seiner eigenen Fußtritte auf der Frostrinde unter seinen Füßen zurück; und fürchtete sich, über seine eigene Schulter zurückzublicken, um nicht irgend eine seltsame Gestalt dicht hinter sich hertappen zu sehen! – Und wie oft wurde er, von irgend einem Windstoß, der in den Blättern heulte, in völlige Verzweiflung getrieben, da er nicht anders glaubte, als es sei der galoppirende Hesse auf einem seiner nächtlichen Züge!
Alles dieß waren indessen bloße Schrecken der Nacht, Phantome des Geistes,
Weitere Kostenlose Bücher