Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
anspruchlosesten sind. Die, welche ihres eigenen Standpunktes gewiß sind, suchen selten dem anderer zu nahe zu treten; dagegen ist aber nichts so unangenehm, als die Anmaßungen der Gemeinheit, welche sich selbst dadurch zu heben denkt, daß sie ihre Nachbarn demüthigt.
Da ich diese Familien einmal einander gegenüber gestellt habe, so muß ich auch ihres Betragens in der Kirche gedenken. Das der Familie des Edelmannes war ruhig, ernst und aufmerksam. Nicht, als ob die Glieder derselben eine inbrünstige Andacht gezeigt hätten; es war eher eine Achtung vor heiligen Gegenständen und dem heiligen Orte, welche von guter Erziehung unzertrennlich ist. Die Anderen dagegen waren in einer beständigen Unruhe und flüsterten fortwährend; sie verriethen ein stetes Beachten ihres Putzes und einen ängstlichen Ehrgeiz, der Gegenstand der Bewunderung einer Dorfgemeinde zu sein.
Der alte Herr war der einzige, der wirklich aufmerksam auf den Gottesdienst war. Er nahm die ganze Last der Familien-Andacht auf sich, stand kerzengerade da, und sagte die Responsen mit einer so lauten Stimme her, daß man sie in der ganzen Kirche hören konnte. Es war klar, daß er durchaus ein Mann des Königs und der Kirche war, welcher, wie alle Leute dieser Art, die Idee der Frömmigkeit und Anhänglichkeit an den König in eines verschmolz, die Gottheit gewissermaßen als zur ministeriellen Parthei gehörig ansehend, und die Religion »für eine treffliche Sache haltend, die man schützen und aufrecht erhalten müsse.«
Daß er so laut in die Andacht einstimmte, schien vorzüglich deswegen zu geschehen, um den gemeineren Leuten ein Beispiel zu geben und ihnen zu zeigen, daß er, obgleich so groß und reich, doch nicht über die Religion hinaus sei; so wie ich einst einen von Schildkrötensuppe gemästeten Aldermann, öffentlich einen Teller mit Armensuppe verschlingen sah, bei jedem Mundvoll schmatzend und dabei erklärend: »das sei vortreffliches Essen für die Armen.«
Als der Gottesdienst zu Ende war, eilte ich, meine Gruppen herausgehen zu sehen. Die jungen Edelleute und ihre Schwestern gingen, da der Tag schön war, über das Feld nach Hause, und plauderten auf dem Wege mit den Landleuten. Die Anderen entfernten sich, wie sie gekommen waren, in großem Staate. Die Equipagen rollten abermals an dem Thore vor. Die Peitschen knallten wieder, die Hufe klapperten und das Geschirr blitzte. Die Pferde flogen davon, die Landleute stoben wieder zur Rechten und Linken auseinander, die Räder wühlten eine Staubwolke auf, und die stolze Familie war in einem Wirbelwind dem Auge entzogen.
Die Wittwe und ihr Sohn.
Habt Mitleid mit dem Alter, das in Zucht
Und Ehren stets die Silberhaare trug.
Marlowe’s Tamerlan.
Während meines Aufenthalts auf dem Lande pflegte ich häufig die alte Dorfkirche zu besuchen. Ihre düsteren Seitengänge, ihre modernden Denkmale, ihre dunkele eichene Vertäfelung, welche durch die Düsterkeit vergangener Jahre noch ehrwürdiger geworden war, schienen sie zu einem Sitze für ernstes Nachdenken zu machen. Ueberdies ist ein Sonntag auf dem Lande so heilig durch seine Ruhe; eine so nachdenkliche Stille waltet über der Natur, daß jede ruhelose Leidenschaft hinweg gezaubert wird, und wir die ganze natürliche Religion der Seele allmählig in uns aufkeimen fühlen.
»O süßer Tag, so rein, so still, so hell,
Des Himmels und der Erde Hochzeitfest.«
Ich kann das Verdienst nicht ansprechen, ein frommer Mann zu sein; allein es gibt Gefühle, die sich meiner, in einer Dorfkirche, mitten in der schönen Heiterkeit der Natur bemächtigen, welche ich anderswo nicht empfinde, und wenn ich am Sonntage kein religiöserer Mensch bin, als an einem der übrigen Wochentage, so bin ich doch ein besserer.
In dieser Kirche fühlte ich mich indessen durch die Kälte und den Prunk der armen Würmer um mich her, beständig in die Welt zurückgeworfen. Das einzige Wesen, welches die demüthige hingegebene Frömmigkeit eines ächten Christen innigst zu fühlen schien, war eine arme, gebrechliche, alte Frau, welche unter der Last der Jahre und der Krankheit gebeugt war. Ihre Erscheinung verrieth etwas Besseres, als gänzliche Armuth. Die Spuren eines anständigen Stolzes waren in ihrem Aeußeren sichtbar. Ihre Kleidung, obgleich unendlich einfach, zeugte von einer ängstlichen Reinlichkeit. Auch eine gewisse Art von Achtung ward ihr erwiesen, denn sie saß nicht unter den übrigen Dorfarmen, sondern allein auf den Stufen des Altars. Sie
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