Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
worin sie so manchen glücklichen Tag zugebracht hatte, so durfte sie darin bleiben, und bewohnte es nun allein und beinahe hülflos. Die wenigen nothwendigsten Bedürfnisse gewann sie größtentheils aus den spärlichen Erzeugnissen ihres kleinen Gartens, welchen die Nachbarn dann und wann für sie bearbeiteten. Nur wenige Tage, ehe mir diese Einzelnheiten erzählt worden, sammelte sie einige Küchengewächse zu ihrer Mahlzeit daraus, als sie die Thür, welche aus der Hütte zum Garten führte, plötzlich öffnen hörte. Ein Fremder kam heraus und schien zerstört und wild umherzublicken. Er trug Matrosenkleider, war abgemagert und geisterbleich, und hatte ganz das Ansehen eines Menschen, der durch Krankheiten und Mühseligkeiten zu Grunde gerichtet ist. Er sah sie und eilte auf sie zu, aber seine Schritte waren schwach und unsicher; er sank auf seine Kniee vor ihr nieder und schluchzte wie ein Kind. Die arme Frau blickte mit einem nichtssagenden, umherirrenden Auge auf ihn. »O meine liebe, liebe Mutter! erkennt Ihr denn euren Sohn, euer armes Kind Georg nicht?« Es war in der That ein Trümmer des einst so edeln Burschen, der, mit Wunden bedeckt, von Krankheit und Gefangenschaft in der Fremde halb aufgerieben, seine schwachen Glieder endlich nach Hause geschleppt hatte, um auf dem Schauplatze seiner Kindheit auszuruhen.
Ich will eine Zusammenkunft nicht weiter auszumalen versuchen, bei welcher Freude und Schmerz sich so innig mischten; er war noch am Leben! er war in seine Heimath zurückgekehrt! er konnte doch in ihrem hohen Alter ihr Trost sein und sie pflegen! Seine Kräfte waren indessen erschöpft, und wenn noch etwas gefehlt hätte, um das Werk des Schicksals zu vollenden, so reichte der Anblick des traurigen Zustandes, in welchem er seine heimathliche Hütte fand, dazu hin. Er streckte sich auf die Strohmatte, auf welcher seine verlassene Mutter so manche schlaflose Nacht zugebracht, und stand nie wieder davon auf.
Die Dorfbewohner eilten, als sie hörten, daß Georg Somers zurückgekommen sei, ihn zu sehen, und boten ihm jeden Trost und Beistand an, die ihre geringen Mittel nur aufzubringen vermochten. Er war indessen zu schwach, um zu sprechen – er konnte seinen Dank nur durch Blicke bezeugen! Seine Mutter war beständig um ihn, und er schien sich von niemand Anders bedienen lassen zu wollen.
Es liegt etwas in dem Zustande des Krankseins, was den Stolz des Mannes bricht, sein Herz erweicht und die Gefühle der Kindheit wieder in ihm erweckt. Wer, selbst in vorgerückten Jahren, an Krankheit und Abspannung darniedergelegen, auf einem Schmerzenlager in einem fremden Lande verlassen und einsam dahingesiecht ist, hat nicht der Mutter gedacht, »welche für seine Kinderjahre gesorgt,« sein Kissen glatt gestrichen, und seine Hülflosigkeit gepflegt hat. Ach, es liegt eine duldsame Zärtlichkeit in der Liebe einer Mutter zu ihrem Sohne, welche vor allen übrigen Regungen des Herzens den Vorrang behauptet. Sie kann weder durch Selbstliebe erkalten, noch durch Gefahr geschreckt, noch durch Werthlosigkeit geschwächt, noch durch Undank erstickt werden. Sie opfert jede Bequemlichkeit der seinigen auf, entsagt jedem Vergnügen, seines Genusses willen, ist stolz auf seinen Ruhm, freut sich seines Glücks – und wenn das Unglück ihn überwältigt, wird er ihr durch das Unglück nur um so theurer; wenn die Schande sich an seinen Namen heftet, sie liebt und hegt ihn, der Schande zum Trotz; und wenn ihn die ganze übrige Welt von sich stößt, so wird sie ihm die ganze Welt ersetzen.
Der arme Georg Somers hatte es erfahren, was es heißt, krank zu sein und Niemand zu haben, der uns pflege; – einsam, im Gefängniß zu sein, ohne daß Jemand uns besuche. Er konnte keinen Augenblick ohne seine Mutter sein; entfernte sie sich, so verfolgte er sie mit den Augen. Sie saß Stundenlang an seinem Bett und wachte bei ihm, wenn er schlief. Zuweilen fuhr er aus einem Fiebertraume auf, und blickte ängstlich umher, bis er sie sah, wie sie sich über ihn hinbog; dann nahm er ihre Hand, legte sie auf seine Brust, und schlief mit der Ruhe eines Kindes ein. So starb er.
Das Erste, wozu ich mich, nach Anhörung dieser einfachen Trauergeschichte getrieben fühlte, war, mich nach der Hütte der Leidtragenden zu begeben, um ihr eine Unterstützung zu reichen, und sie, wo möglich, zu trösten. Bei genauerer Nachfrage fand ich indessen, daß die Gutmüthigkeit der Dorfbewohner schon Alles gethan hatte, was die Lage der
Weitere Kostenlose Bücher