Gottspieler
Flüssigkeitsausgleich, hielt Röntgenbilder gegen die Lampe an der Decke und informierte sich über die Blutgaswerte. Cassi wußte genug, um zu wissen, was sie alles nicht wußte.
Wie Thomas versprochen hatte, brauchte er nicht lange. Keiner seiner Patienten bereitete Probleme, und selbst wenn, unter Larry Owens Oberkommando würde das Personal mit ihnen fertig werden. Als Thomas und Cassi wieder vor der Intensivstation auftauchten, stürzten sich die Verwandten neuerlich auf ihn. Er bedauerte, ihnen nicht mehr Zeit widmen zu können, betonte aber noch einmal, daß es allen gut ginge.
»Ist es nicht sehr erhebend, soviel Anteilnahme und Dankbarkeit zu erleben?« fragte Cassi, als sie zurück zum Fahrstuhl gingen.
Thomas antwortete nicht sofort. Bei Cassis Bemerkung war ihm wieder das Vergnügen eingefallen, das ihm die Nazzaros vor Jahren mit ihrer Freude bereitet hatten. Ihre Dankbarkeit hatte ihm noch etwas bedeutet. Dann dachte er an die Tochter von Mr. Campbell und warf einen Blick über die Schulter, weil er sie eben überhaupt nicht bemerkt hatte.
»Ach ja, natürlich ist es nett, daß die Verwandten Anteil nehmen«, antwortete er schließlich ohne große Begeisterung. »Aber so wichtig ist es auch wieder nicht. Es hat jedenfalls nichts damit zu tun, weswegen ich operiere.«
»Natürlich nicht«, sagte Cassi. »Das wollte ich auch nicht unterstellen.«
Der Aufzug hielt, und sie stiegen ein.
»Das Dumme dabei ist«, fuhr Thomas fort, »jetzt bin ich der Lehrer.«
Cassi blickte auf. Zu ihrer Überraschung hatte seine Stimme eine gänzlich unerwartete Wehmut, die sie bei ihm nicht kannte. Sie betrachtete ihn genauer und stellte fest, daß er träumend ins Leere starrte.
Thomas ließ seine Gedanken zurückwandern zu seiner Anfangszeit in der Brustchirurgie, als alles noch neu, abenteuerlich und ungeheuer aufregend gewesen war. Er wußte noch, daß er drei Jahre lang praktisch nur in der Klinik gelebt und sein düsteres Zweizimmerappartement lediglich aufgesucht hatte, um ein paar Stunden zu schlafen. Um aus der Masse der anderen Ärzte herauszuragen, hatte er härter gearbeitet, als er es je für möglich gehalten hätte. Und tatsächlich war er amEnde Oberarzt geworden und hatte damit in gewisser Weise, aus heutiger Sicht betrachtet, die Krönung seiner Karriere erfahren. Es war ihm gelungen, sich an die Spitze einer Gruppe hochtalentierter junger Ärzte zu setzen, von denen jeder genauso ehrgeizig und engagiert war wie er selbst. Nie würde er den Augenblick vergessen, in dem jeder seiner Kollegen einzeln auf ihn zugetreten war, um ihm zu gratulieren. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Arbeit und das Leben im allgemeinen damals einfach mehr Spaß gemacht hatten. Dankbare Verwandte waren nett, konnten jene Zeit aber auf keinen Fall ersetzen.
Als Cassi und Thomas das Krankenhaus verließen, traf sie der feuchte Bostoner Abend wie ein Schlag ins Gesicht. Es regnete in Strömen, Windstöße peitschten das Wasser über die Straße. Um Viertel nach sechs war es bereits dunkel. Allein die tief dahintreibenden Wolken mit dem schwachen Widerschein der Lichter der Stadt spendeten etwas Helligkeit. Cassi legte Thomas den Arm um die Hüfte, und gemeinsam rannten sie auf die nahe Parkgarage zu.
Sobald sie Schutz gefunden hatten, stampften sie sich die Nässe von den Füßen und stiegen die Rampe hinauf. Der feuchte Zement hatte eine überraschend scharfe Ausdünstung. Thomas benahm sich noch immer nicht wie sonst, und Cassi überlegte, was ihm wohl durch den Kopf gehen mochte. Sie wurde das unangenehme Gefühl nicht los, daß es etwas mit ihr zu tun hatte. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was. Seit sie Donnerstagmorgen zusammen in die Klinik gefahren waren, hatten sie sich nicht mehr gesehen, und damals war noch alles in Ordnung gewesen.
»Hat die Operation letzte Nacht dich sehr angestrengt?« erkundigte sie sich.
»Ja, wahrscheinlich. Ich habe nicht darüber nachgedacht.«
»Und deine Fälle? Alles in Ordnung?«
»Ich habe dir gesagt, daß alles in Ordnung ist«, sagte Thomas. »Tatsächlich hätte ich sogar noch einen weiteren Eingriff durchführen können, wenn man mir mehr OP-Zeit zugestanden hätte. Ich habe drei Fälle in der gleichen Zeit behandelt, in der George Sherman gerade zwei schafft und Ballantine, unser furchtloser Chef, maximal einen.«
»Klingt, als solltest du dich darüber freuen«, sagte Cassi.
Vor einem anthrazitfarbenen Porsche 928 mit Metalliclackierung blieben
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