Gottspieler
vorüber, der Regen hatte das letzte farbige Aufflammen von den nackten Ästen der Bäume gewischt. Der Winter stand vor der Tür; die feuchtkalten Nächte der letzten Wochen hatten ihn bereits ahnen lassen.
Sie folgten der letzten Kurve, donnerten über eine Holzbrücke und die Zufahrt zu ihrem Grundstück hinauf. Im Licht der tanzenden Scheinwerferkegel konnte Cassi die Konturen ihres Hauses erkennen. Es war um die Jahrhundertwende erbaut worden und ursprünglich nur als Sommerhaus einer reichen Bostoner Familie gedacht gewesen. In den vierziger Jahren hatte sein damaliger Besitzer es winterfest herrichten lassen, ohne etwas an dem für Neuengland typischen Stil zu verändern. Dank seiner unregelmäßigen Dachführung und der großzügigen Bauweise besaß es eine geradezu einzigartige Silhouette. Cassi liebte das Haus, im Sommer vielleicht etwas mehr als im Winter. Das Beste daran war die Lage. Es erhob sich direkt an einer kleinen Bucht mit Blick auf die See. Obwohl die Fahrt nach Boston fast vierzig Minuten dauerte, fand Cassi, daß der Weg sich lohnte.
Als sie die lange Zufahrt hinaufrollten, fiel ihr wieder ein, wie Thomas und sie sich während ihres Praktikums im Boston Memorial kennengelernt hatten. Eines Tages war er in ihrer Station aufgetaucht, im Schlepptau eine Gruppe von Ärzten, die wie junge Hunde hinter ihm herliefen, um sich einen Mann mit einer akuten Herzattacke anzusehen. Fasziniert hatte Cassi ihn beobachtet. Sie hatte schon von ihm gehört und war erstaunt, daß er so jung aussah. Sie fand ihn ungewöhnlich anziehend, wäre aber nie auf den Gedanken gekommen, daß jemand von solcher Bedeutung ihr einen zweiten Blick schenken könnte – es sei denn, um ihr eine verwirrende medizinischeFrage zu stellen. Wenn sie Thomas an jenem Tag ebenfalls aufgefallen war, so hatte er zumindest kein Wort darüber verloren.
Nachdem sie erst einmal in die Klinikgemeinschaft eingegliedert war, fand Cassi den Betrieb längst nicht so einschüchternd, wie sie anfangs befürchtet hatte. Sie arbeitete hart und stellte zu ihrer großen Überraschung fest, daß sie mit jedem gut auskam. Vorher hatte sie keine Zeit für Verabredungen gehabt, aber im Boston Memorial verschmolzen Arbeit und Gesellschaftsleben. Ungefähr die Hälfte des männlichen Personals verfolgte sie mit mehr oder weniger frivolen Anträgen, und wenig später gesellten sich sogar einige der jüngeren Fachärzte dazu, darunter ein gutaussehender Augenarzt, für den ein Nein einfach keine Antwort war. Cassi hatte noch niemand kennengelernt, der so zäh und dabei so ausschließlich auf eine Sache fixiert war, speziell wenn man sich vor seinem Kamin in Beacon Hill befand. Aber all das war mehr oder weniger harmlos gewesen, bis George Sherman sie um ein Rendezvous gebeten hatte. Ohne große Ermutigung von ihrer Seite schickte er ihr Blumen, kleine Präsente und bat sie schließlich, aus heiterem Himmel, um ihre Hand.
Sie gab ihm nicht sofort einen Korb. Sie mochte ihn gern, wenn sie auch nicht glaubte, daß jemals Liebe daraus werden könnte. Während sie noch überlegte, wie sie sich am besten aus der Affäre zog, geschah etwas, das sie noch viel weniger erwartet hatte: Thomas Kingsley bat sie ebenfalls um ein Rendezvous.
Cassi erinnerte sich noch genau der tiefen Erregung, die sie in Thomas’ Gegenwart empfunden hatte. Er strahlte eine Selbstsicherheit aus, die andere vielleicht einfach als Arroganz bezeichnet hätten. Aber nicht Cassi. Sie spürte, daß er einfach wußte, was er wollte, und Entscheidungen daher auch schneller als jeder andere zu treffen vermochte. Als sie zu Beginn ihrer Beziehung einmal über ihre Diabetes zu sprechen versuchte, winkte er ab und ließ ihr das Leiden wie ein Problem aus der Vergangenheit erscheinen. Er gab ihr all das Selbstvertrauen, das ihr seit der dritten Klasse gefehlt hatte.
Es war Cassi ziemlich schwergefallen, George gegenüberzutreten und ihm zu sagen, daß sie nicht nur seinen Antrag ablehnen müsse, sondern auch noch die Frau seines Kollegen werden würde. George trug die Nachricht scheinbar mit Fassung und sagte, er wäre trotzdem gern weiterhin mit ihr befreundet. Wenn sie ihn später zufällig in der Klinik getroffen hatte, schien er sich jedesmal mehr Gedanken über ihr Glück als seinen Laufpaß zu machen.
Thomas war charmant, rücksichtsvoll und galant, ganz anders als sie ihn sich vorgestellt hatte. Der Klatsch wollte wissen, daß der Herzspezialist zu intensiven, aber kurzen Beziehungen
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