Gottspieler
sie stehen. Thomas zögerte und warf Cassi über das Wagendach einen Blick zu. »Ich freue mich aber nicht. Wie üblich bin ich wieder mit zahllosen Kleinigkeiten behelligt worden, die mir die Arbeit erschweren. Mit dem Memorial wird es immer schlimmer, statt besser. Langsam reicht’s mir wirklich. Zu allem Überfluß hat man mich heute auf der Nachmittagskonferenz auch noch darüber informiert, daß ich pro Woche auf vier Fälle verzichten muß, damit George Sherman mehr OP-Zeit für seine gottverdammten Lehrfälle bekommt. Dabei haben sie nicht einmal genug Lehrfälle, um die Zeit auszufüllen, die sie jetzt schon beanspruchen, auch ohne daß sie Patienten in die Klinik holen, die einfach kein Anrecht auf den kostbaren Platz haben.«
Er sperrte den Schlag auf, stieg ein und langte hinüber, um Cassi die Tür zu öffnen.
»Außerdem habe ich das Gefühl, daß im Memorial noch etwas anderes vorgeht«, fuhr er fort und startete den Wagen. »Irgend etwas zwischen George und Norman Ballantine. Gott, wie mich das alles anödet!«
Er gab Gas, rammte den Rückwärtsgang ins Getriebe, schoß zurück und dann mit quietschenden Reifen wieder nach vorn. Cassi mußte sich am Armaturenbrett festhalten, um nicht die Balance zu verlieren. Als er anhielt, um seine Karte in den Schlitz für das automatische Tor zu schieben, griff sie hinter sich und legte ihren Sicherheitsgurt an. »Thomas, du solltest dich ebenfalls anschnallen«, sagte sie.
»Um Himmels willen«, schrie Thomas. »Hör auf, an mir herumzunörgeln.«
»Entschuldige«, sagte Cassi rasch in der Überzeugung, daß sie in gewisser Weise an der schlechten Laune ihres Mannes mitschuldig war.
Thomas fuhr wie ein Berserker, schnitt andere Fahrzeuge, setzte zu wahnwitzigen Überholmanövern an. Cassi hielt den Mund, um ihn nicht noch mehr zu verärgern. Sobald sie die Stadt hinter sich hatten, wurde der Verkehr dünner. Obwohl Thomas immer noch mindestens hundert fuhr, ließ Cassis Anspannung nach.
»Es tut mir leid, daß ich dir auf die Nerven gegangen bin, besonders nachdem du so einen harten Tag hattest«, sagte sie schließlich.
Thomas antwortete nicht, aber sein Gesicht verlor etwas von seiner Härte, und die Hände packten das Lenkrad nicht mehr ganz so fest. Ein paarmal setzte Cassi zu der Frage an, ob sie für seine schlechte Laune verantwortlich sei, konnte aber die richtigen Worte nicht finden. Eine Zeitlang blickte sie einfach auf die regennasse Fahrbahn, die ihnen entgegenschoß. »Habe ich etwas getan, weswegen du mir böse bist?« fragte sie zu guter Letzt.
»Das hast du in der Tat«, schnappte er.
Einige Minuten fuhren sie schweigend. Cassi wußte, daß er früher oder später mit der Sprache herausrücken würde.
»Es sieht so aus, als wäre Larry Owen bestens über unsere medizinischen Privatangelegenheiten informiert«, sagte Thomas schließlich.
»Es ist kein Geheimnis, daß ich an Diabetes leide«, wandte Cassi ein.
»Es ist kein Geheimnis, weil du es jedem auf die Nase bindest«, sagte Thomas. »Ich finde, je weniger die Leute wissen, desto besser. Ich hasse es, im Mittelpunkt von Klatschgeschichten zu stehen.«
Cassi konnte sich nicht erinnern, mit Larry Owen über ihren Gesundheitszustand gesprochen zu haben, aber darum ging es natürlich auch nicht. Sie hatte mehreren Leuten von ihrer Krankheit erzählt, unter anderem erst heute mittag Joan Widiker. Thomas schien, wie ihre Mutter, der Ansicht zu sein, daß ihre Diabetes kein Thema war, nicht einmal im Gespräch mit Freunden.
Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Die Scheinwerferstrahlen der Wagen auf der Gegenfahrbahn streiften über sein Gesicht, doch seine Miene ließ sich nicht deuten.
»Ich schätze, ich habe einfach nie darüber nachgedacht, daß es uns vielleicht schaden könnte, wenn ich mit jemand darüber spreche«, sagte sie. »Es tut mir leid. Ich werde besser aufpassen.«
»Du weißt ja, wie schnell sich solcher Klatsch in einer Klinik verbreitet«, meinte Thomas. »Am besten gibt man niemand einen Anlaß, sich das Maul über einen zu zerreißen. Larry war nicht nur über deine Zuckerkrankheit informiert, sondern auch darüber, daß du dich vielleicht einer Augenoperation unterziehen mußt. Er sagte, er hätte es von deinem Freund Robert Seibert gehört.«
Jetzt verstand Cassi. Sie wußte doch, daß sie Larry Owen gegenüber kein Wort hatte verlauten lassen. »Mit Robert habe ich in der Tat darüber gesprochen«, gab sie zu. »Es schien mir nur natürlich. Wir kennen uns
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