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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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es zu Mittag gibt für die Gruppe, und ob es gelinden wird, den überzähligen in seine Gamelle zu praktizieren, ohne daß es die andern merken. Und dann diese Einsamkeit hier. Die ersten Tage ging es noch, da schlief Sitnikoff hier, während wir den Bestand aufnahmen, und mit ihm konnte man schließlich noch reden. Er ist gar nicht so dumm und hat schon gewußt, warum er wieder in die Sektion zurück wollte. Ja, die Einsamkeit hier. Da kommen die Bilder, die man nicht vertreiben kann.
    Ganz unschuldige zuerst. Wälder, in denen man geschlafen hat. Der Geruch nach feuchten Blättern und Pilzen, die Sonne scheint durch die Zweige, und eine Ameise kitzelt die Hand. Ein Käfer torkelt ungeschickt über Gräser. Dann ist plötzlich das Leben von drüben da, eine Melodie, die man nicht aus den Ohren bringt, auch wenn man an anderes denken will. Du kennst das ja auch. Warum hast du gestern gesummt: ›das ist die Liebe‹? Soll ich dich noch mehr mit Erinnerungen langweilen? Jeder kennt doch das, und wenig braucht es, um das Kino der Vergangenheit zum Surren zu bringen. Einmal hat mich Narcisse mit ins Kloster genommen. Du weißt, wie es dort aussieht, oder nicht? Wenn die Leute am Zahltag vor den Türen anstehen und warten, bis sie drankommen. Als müßten sie Brot fassen. Liebe fassen. Das, was sie Liebe nennen.« Es schien Lös Mühe zu bereiten, ganze Sätze zu formen. Todd lächelte, aber er blickte nicht auf. Manchmal versuchte er das Lächeln durch Einziehen der Lippen zu unterdrücken, aber bald brach es wieder hervor.
    »Ich war an einem Abend dort, wo es fast leer war. Aber die Frauen, die dort leben! Die Schminke, die von den Gesichtern rinnt, der Stumpfsinn und der Geruch, von dem einem übel wird. Der schlechte Tee, für den man noch teuer bezahlen muß. Und die ›patronne‹, die keifend einkassiert. Jede von den fünf Dirnen wollte mich für sich haben. Nur weil der Chef ihnen gesagt hatte, ich sei in der Verpflegung. Und der Vorgänger von Sitnikoff war doch dort ein eifriger Besucher. Jede hoffte, ich würde mich in sie verlieben und ihr ein Zimmer im Dorf zahlen, sie aus dem Haus herausnehmen. Aber ich habe wirklich nur Ekel gespürt. Narcisse hat sich über mich lustig gemacht. Ja, wir sind beide in die Legion gekommen, um Schluß zu machen. Ganz recht. Aber doch nicht, um im Schmutz zu ersaufen. Ich spreche nicht von Moral. Was haben wir noch mit der Moral zu tun? Wir können einfach nicht. Uns fehlt vielleicht der letzte Mut. Mut, das ist auch so ein Wort. Manche Sachen können wir einfach nicht tun. Warum? Das weiß ich selber nicht. Nun schau. Das Mädchen dort ist wenigstens sauber. Und sie hat mich gern auf ihre Art, obwohl es nicht immer leicht ist mit mir. Sie ist vielleicht auch nur dankbar und will zurückzahlen, weil ich ihr ein Kleid geschenkt habe und ihrem Vater zweihundert Franken, damit er sich einen Garten leisten kann. Aber sie ist doch noch ein Mensch und nicht irgend ein schmutziges Tier. Das ist vielleicht falsch, die Dirnen sind wahrscheinlich auch keine Tiere. Aber wenigstens bin ich sicher, daß ich bei ihr nicht krank werde, und davor habe ich eine heillose Angst. Und anhänglich ist sie auch. Und wenn ich einmal fortgehe, so wird ihr Vater einen Garten haben, und dann findet sie vielleicht einen, den Chef oder einen Leutnant, der sie weiter versorgen wird. Um mich hat sich auch niemand gekümmert, als es mir schlecht ging.«
    Todd in der Ecke schwieg. Das Lächeln hatte er eingestellt. Er nickte vor sich hin, und es wirkte automatenhaft. Dabei hatte er die Augen geschlossen und zupfte an den wenigen Haaren seines Kinns.
    »Ja, ja«, sagte er. »Ich versteh' schon. Na, dann… Servus.«
    Lös sah ihn durch das Tor der Verwaltung gehen, als die Signalpfeife im Posten zu trillern begann. Der Himmel war schon grau, und die Luft schmeckte nach sauren Bonbons. Lös hörte das Trappen der Maultiere, die ungeduldig beim Satteln den Boden mit den Hufen schlugen. Er ging zum Tor und setzte sich dort auf einen Stein. Die Sektionen marschierten an, draußen vor dem Posten und stellten sich auf in fünf Reihen. Vor jeder Gruppe die Fußgänger, einer hinter dem andern, nachher die Maultiere mit den hochbepackten Sätteln. Die ›Titulaires‹ hielten die Tiere am Halfter. Vor den Kolonnen trabte Capitaine Chabert aufgeregt auf und ab. Das heisere Brüllen Cattaneos war hörbar. Der kleine Schneider hatte sein Mißfallen erregt, er hatte den Hafersack seines Maultieres vergessen. Leutnant

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