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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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das Mädel allein zu lassen, und daß dir ein anderer sie fortnimmt? Warst heute nachmittag bei ihr? Wie war's? Hat sie eine weiche Haut und riecht sie gut?« Der Capitaine lächelte ein weiches Lächeln, das ihm Speichelbläschen in die Mundwinkel trieb. Dann strafften sich die Lippen wieder, als er fortfuhr: »Aber wenn du hier bleibst, mach mir nicht zuviel Dummheiten, während wir fort sind. Du weißt, der Leutnant Mauriot mag dich nicht leiden. Er wird den Posten während meiner Abwesenheit unter sich haben, und er hat mir schon gesagt, daß er dir scharf auf die Finger sehen wird. Paß nur auf, daß er nichts merkt.«
    Der Capitaine ließ die Stahlbrille wieder über die Augen fallen, senkte den Kopf und nähte weiter.
    Lös schlug die Absätze zusammen und ging. Am Fuße der Treppe nahm er das zweite Paket auf und klopfte dann bei Leutnant Lartigue an.
    »Was bringen Sie da?« Der Leutnant lag in seinem bequemen Klubsessel und schlug die Zeitschrift zu, in der er gelesen hatte. Sie trug rote Buchstaben auf einem weißen Grund. »Ein ganzes Lamm? Wie liebenswürdig finde ich das. Denn ich täusche mich doch nicht, wenn ich annehme, Ihre Aufmerksamkeit sei ein Zeichen freundlicher Wertschätzung meiner Person? Setzen Sie sich. Hier… Anisette – und da Zigaretten. Nehmen Sie bitte. Und bleiben Sie hier? Da ist die Nummer, von der ich Ihnen sprach. Einige Nachrufe, wie Sie sehen. Auch Herr Gide hat sich bemüßigt gefühlt, seinen Senf dazuzugeben. Oh, wie sehr geht mir dieser schreibende Mann auf die Nerven. Einen Grund kann ich nur schwer ausfindig machen. Er ist mir zu klug. Klug in einer bösen Bedeutung. Schätzen Sie ihn?«
    Lös rauchte schweigend. Er erwartete die fällige Anspielung auf sein Liebesverhältnis. Aber Leutnant Lartigue war zu sehr mit literarischen Angelegenheiten beschäftigt.
    »Daß doch Proust tot ist!« Er schüttelte sein klobiges Haupt, strich sich durch die Haare, daß sie unordentlich aufstanden. »Es hat mich traurig gemacht, daß ich die ganze vorige Nacht nicht habe schlafen können. Wer wird uns nun helfen, in die Unordnung und das Dunkel in uns ein wenig Licht zu bringen? Und denken Sie, ich habe versäumt, ihn kennen zu lernen. Ein junger Freund wollte mich einmal zu ihm mitnehmen. Ich hätte ihm vielleicht ein paar schöne Anekdoten erzählen können über meinen Obersten in Tours; auch eine Art Baron du Charlus, nur viel gröber. Wirklich sehr lustige Geschichten. Aber vielleicht wäre der Besuch eine Enttäuschung gewesen, und so ist es besser, ja, ja, viel besser, ich habe ihn unterlassen.« Die große Hand griff zum Tisch hinüber und nahm ein anderes Heft. »Kennen Sie einen deutschen Dichter namens Rilke?« Er buchstabierte die ihm fremden Vornamen: Rainer Maria, schüttelte wieder den Kopf. »Der Mann beginnt französische Gedichte zu schreiben. Wußten Sie das?« Er murmelte eine Zelle vor sich hin. »Man merkt doch deutlich, daß er ein Deutscher ist. Aber woran? Daß ihm die Zeichnung fehlt, verstehen Sie. Ein Gedicht soll kein Farbengeschmier sein. Wie eine Radierung soll es wirken, auch wenn es das Unaussprechliche sagen will. Formlos ist dies. Sie werden es selber sehen, denn es widersteht meiner Zunge. Gewiß, viel Geduld zeigt sich, schwere und mühselige, es wird betont, wieviel Arbeit es gekostet hat. Nehmen Sie dagegen einen Vers von Mallarmé: ›La solitude bleue et stérile a frémi…‹ und sagen Sie mir dagegen einen Vers von Ihrem Rilke, wenn Sie einen wissen, soviel Deutsch verstehe ich schon noch.«
    Lös dachte nach. Die Einrichtung des Raumes störte ihn. Die schwere Petroleumlampe, die auf dem kleinen Tisch stand, die bunten Vorhänge, das niedere Feldbett, das mit einem grellen Teppich bedeckt war und wie ein ärmlicher Divan wirkte. Im Lehnstuhl aber lag eine schwere Gestalt, die kraftlos schien und ein wenig morsch, nun da sie sprach. Der Daumen der Rechten stützte das Kinn, während die übrigen Finger den Mund verbargen.
    »Götter schreiten vielleicht, immer im gleichen Gewähren,
Wo unser Himmel beginnt…«
    sagte Lös zögernd; es war, als müsse er die Worte irgendwie aus fernen Ländern holen. Ja, wahrhaftig, die Worte waren eingeschlossen in einem Zimmer, das drüben in einer Stadt lag. Und in diesem Zimmer lag auf einem rechteckigen Tisch das Buch, das die Verse enthielt, die Verse, die nach Vergangenheit klangen. Lös schüttelte sich. Er stand auf: »Ein andermal, mon lieutenant, ich habe noch zu tun. Vielleicht sucht mich der

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