Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
war kein Grund vorhanden, irgend etwas zu erwarten. Der Tag würde dem gestrigen gleichen: marschieren, reiten, marschieren. Um acht Uhr würde die Sonne beginnen zu stechen, und dann gab es Durst. Um Mittag herum kam man zum großen Halt. Dort mußte man bis zum Abend unter den braunen Zelttüchern liegen, durch die sich die Sonne fraß; immer war sie ein brennender Hohlspiegel, kaum verdeckt, der die Augen blendete, durch die Lider stach, Wasser aus dem Körper sog, bis er ausgetrocknet war, wie das zähe Alfagras, das schon als Heu wuchs.
    Der Himmel wurde rot, und der Wind legte sich. Es war noch frisch. Vielleicht hatte es sogar Tau? Todd dachte nach. Gab es hier überhaupt Tau? Er hätte es nicht sagen können. Immer blieben die Bilder stumpf, die man aufnahm, die Wirklichkeit fehlte ihnen. Viel wirklicher waren die Landschaften der Träume, in denen Wasser floß und Weiden grünten. Auch die Kameraden blieben Puppen mit automatischen Bewegungen. Nur Wut empfand man gegen diese Puppen, wenn sie beim Satteln störten.
    Der Capitaine pfiff, hob den Arm, ließ ihn lange erhoben. Der Zug stand. »Absitzen, wechseln«, kam der Befehl und wurde weitergegeben. Todd stieg ab, von vorne kam sein ›Doubleur‹ gerannt, ein kleiner Russe mit einem Wieselgesicht, namens Veraguin, der kein Wort französisch sprach. Todd hielt den rechten Steigbügel, während der andere links aufstieg. Der Sattel war schwer beladen mit der Ausrüstung der beiden. Man war nie sicher, ob der Sattel hielt, der Gurt konnte noch so fest angezogen sein, manchmal rutschte das Ganze doch auf den Bauch des Tieres, dann mußte man umsatteln. Das gab Verspätung, man war gezwungen, der Kolonne nachzulaufen, wurde angeschrieen, und das vergrößerte das Gereiztsein und die Müdigkeit. Es war besser, man gab acht. Todd lief nach vorn, stellte sich an seinen Platz, es war der dritte im Einerzug, und sah nach Capitaine Chabert. Der hielt noch immer den Arm erhoben, wie ein indischer Fakir, das Pferd unter ihm stand ergeben still. Nun senkte sich der Arm, ein Ruck ging durch die lange farblose Schlange, sie kroch weiter.
    Die Stunde vergeht. Mit vorgeneigtem Kopf marschiert jeder, die Knie gebeugt, die Sohlen kaum vom Boden hebend, fast schleifend wie beim One-Step, nur daß man kleinere Schritte nimmt. Todd muß wirklich an den Tanz denken, wie er auf dem grauen Straßenband weitergeht, eingehüllt in eine Staubwolke, die viele Schuhe, viele Hufe aufgewirbelt haben. Die Gespanntheit will noch nicht weichen. Es sind viele Bilder da. Erinnerungen von früher, aber nicht klar und deutlich, sondern verschwommen, so, als habe Staub und Müdigkeit sie getrübt. Nur eine Erinnerung setzt sich fest, und er muß ihr nachgehen, sie ausmalen, bis sie endlich fertig vor ihm steht: eine Bar sieht er und viele geschminkte Gesichter, er hat Geld genug, aber ist trotzdem unruhig und sieht immer wieder nach der Tür, ob dort nicht ein Polizist auftauchen wird, um ihn zu verhaften. Eigentlich ist es am Morgen viel zu glatt gegangen auf der Bank, mit dem Scheck. Niemand hat die Unterschrift geprüft, die Unterschrift des Bruders, ohne weiteres sind ihm die fünfhundert Dollar ausbezahlt worden. Seine Angst ist wirklich grundlos.
    Da tritt ein Mädchen auf, Pagenfrisur, eine zierliche schwarzhaarige Person, in seidenen Culottes, weißen Strümpfen, Spitzenjabot und Pumps. Sie rezitiert mit ganz flacher Stimme, ohne eine Bewegung zu machen:
    »Verträumte Polizisten watscheln bei Laternen,
Zerbrochene Bettler meckern, wenn sie Fremde ahnen.
In manchen Straßen stottern starke Straßenbahnen
Und sanfte Autos rollen zu den Sternen.«
    Todd merkt plötzlich, daß er die Verse laut vor sich hin spricht. Sein Vordermann dreht sich um. Todd schweigt und schämt sich zuerst, dann sieht er, daß es Schilasky ist. Das umgewandte Gesicht sieht aus, wie aus Buchenholz geschnitzt. Die Nase ist auch im Profil scharf.
    »Was sagst du?« fragt Schilasky.
    »Nichts, nichts. Es ist mir nur ein Gedicht eingefallen.« Dann will er weiterschweigen. Aber Schilasky ist interessiert. Er tritt aus der Reihe, nachdem er sich vorsichtig umgesehen hat. Es ist kein Vorgesetzter in der Nähe. Sergeant Sitnikoff an der Spitze schläft, und Chaberts Pferd ist weit voraus, ganz undeutlich sichtbar, Samotadji hält es. Der Capitaine hat wohl austreten müssen.
    Schilasky fragt, was es denn für ein Gedicht gewesen sei, Koribouts Vorlesung scheint gewirkt zu haben. Schilasky interessiert sich für Gedichte.

Weitere Kostenlose Bücher