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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Da beginnt Todd zu erzählen. Von der kleinen Diseuse im Kabarett, nachher habe er sie eingeladen, gerade am Tag, wo er den falschen Scheck eingelöst habe. Sie sei ganz einsam in der Bar gesessen, niemand habe sich getraut, sie anzureden, denn ihr Ausdruck sei sehr abweisend gewesen. Übrigens, sie habe gut rezitiert. Auch ein anderes. Todd wisse nicht, warum er die Gedichte behalten habe. Er habe die Kleine dann in der Nacht noch gebeten, sie zu wiederholen. Es sei sehr komisch gewesen. Sie sei nackt auf dem Bett gelegen und habe die Verse gegen die Decke des Zimmers gesprochen. Schilasky lacht. Todd schiebt den Unterkiefer vor und schweigt.
    Schilasky hat einen horchenden Ausdruck. Sein hölzernes Gesicht bekommt Leben. Während er sich mit gebeugten Knien vorwärts schiebt, legt er den Kopf schier anmutig auf die Schulter, um den Worten des Kameraden zu lauschen.
    »Ja«, sagt er, wie der andere schweigt, »in Berlin bin ich auch oft ins Kabarett gegangen mit meinem kleinen Freund. Ein lieber Junge war's, sage ich dir. Und konnte so schön Gitarre spielen und Lieder dazu singen!« ›Es fiel ein Reif in einer Frühlingsnacht‹, singt er plötzlich mit hölzerner Stimme, die abgehackt klingt, wie ein Xylophonsolo. »Du kennst doch das Lied?«
    Todd nickt. Es tut so gut zu sprechen, der Weg rollt viel schneller ab, vorn hebt schon wieder der Capitaine den Arm. Absitzen, wechseln. Sie laufen beide zurück, so schnell sie können, und die Gewehre hüpfen auf ihren Rücken.
    Nun reiten sie nebeneinander, obwohl das eigentlich verboten ist. Noch ist der Weg breit, die Berge aber kommen schnell näher. Bis dahin können sie miteinander sprechen, sich selbst erzählen; ob der andere zuhört ist eine Frage für sich.
    »Ich habe ihr einen Gin-Fizz angeboten«, erzählt Todd.
    »Zuerst war sie ein wenig zugeknöpft, aber ich sagte zu ihr: Wie können Sie so zugeknöpft sein, mein gnädiges Fräulein, Sie haben ja gar keine Knöpfe an Ihrem Kleid. Weißt du, sie hatte so ein enganliegendes Kleid, nachher zog sie es einfach über den Kopf. Sie sah wie ein Schulmädchen aus in ihren Schlupfhosen. Und dann war sie so bescheiden. Die Mädels animieren einen sonst zum Trinken. Sie gar nicht. War mit ihrem Gin-Fizz ganz zufrieden. Saß still neben mir und erzählte von einer Bootsfahrt auf dem Vierwaldstättersee. Sie hatte ein Engagement in der Schweiz gehabt; das sei angenehm gewesen während des Krieges. Dort hätte sie sich wieder einmal satt essen können.«
    Schilasky unterbricht ihn, und nun hört Todd, daß der andere gar nicht aufgepaßt hat, denn er fährt fort, dort, wo er stehen geblieben ist:
    »Weißt du, ich hatte ihn auf dem Bahnhof kennengelernt. Am Abend war ich immer auf dem Bahnhof. Natürlich in Zivil. Als Wachtmeister von der Sipo kann man doch nicht in Uniform gehen. Plötzlich gefällt einem ein Gesicht oder die Bewegung eines Körpers, man geht nach, eine Zeitlang, bis man den Menschen ein wenig studiert hat. Man kriegt Übung. So kleine Anzeichen verraten viel. Irgendein weiches Gehen, ein Schwingen in den Hüften, ein sonderbares Lächeln, untertänige Augen. Ich habe einen guten Blick.
    Meinem Jungen bin ich ein paar Tage nachgestiegen, bis ich es gewagt habe, ihn anzusprechen. Von den vielen, die ich kannte, war es der einzige, der mir ein wenig Angst gemacht hat, im Anfang. Er war noch Gymnasiast. Und dann sind die Eltern dahintergekommen. Es hat Skandal gegeben. Der Junge hat einen Selbstmordversuch begangen, so sehr hat er an mir gehangen.«
    Todd betrachtete Schilasky von der Seite. Immer mehr zerbrach die hölzerne Maske. Das Ohrläppchen, das unter dem Tropenhelm sichtbar war (zierlich geformt war es, wie bei einer Frau), hatte sich gerötet, und auch auf den Backenknochen saßen zwei rote Tupfen.
    Da waren die Berge. Der Weg wurde eng. Er war in die Felsen gesprengt, die hellgelb glühten. Todd hielt die Lisa zurück. Eine Zeitlang ritten sie schweigend. Links fiel der Hang steil zu einem kleinen Bach ab.
    Todd sah den Rücken des vor ihm Reitenden. Ein schmaler Rücken. Die Schulterknochen verschoben sich in gleichbleibendem Rhythmus unter dem eng anliegenden Khakirock. Der Korkhelm lag über dem Kopf wie eine leichte Glocke. Wieviel mußte unter dieser gelben Glocke geschehen! Ein Heißlaufen der Gedanken, gegen das selbst die Müdigkeit nichts nützt. Immer die gleichen Gedanken, die gleichen Wünsche, die peinigen; es lohnt sich kaum, von ihnen zu sprechen. Sie sind so schwer in Worte zu

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