Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
Zufällig war diese Behauptung unwahr. Lös hatte es durch Zeugen beweisen können. Doch Baskakoff brauchte viel. Er war ob seiner Dicke so oft ein altes Weib genannt worden, daß er sich allabendlich verpflichtet fühlte, das Kloster zu besuchen, um seine Männlichkeit in einwandfreier Weise zu erhärten. Er zahlte dort mit Lebensmitteln und war ein gern gesehener Gast. Daß der Chef ihm in der letzten Zeit auf die Finger sah, machte ihn gereizt, und er gab Lös die Schuld für diese so unangenehme Überwachung. Was aber der Situation am Tor etwas Peinliches gab, war die Sicherheit Baskakoffs und Lös' Schwanken. Er mußte sich besinnen, welchen Grund er für sein Ausgehen angeben sollte. Und Baskakoff genoß sichtlich das Schwanken des anderen. Er, als Wache, stand auf dem festen Boden des Befehls, der andere hatte nur eine durch Gefälligkeiten, durch Bestechungen erworbene Autorität; Lös kehrte um.
Im Büro saß der Chef bequem auf einem Rohrstuhl, hatte die dicken Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt und las in einem Buch mit farbigem Umschlag: ›Vierge et Martyre‹. Er legte das Buch auf den Tisch neben eine halb geleerte Flasche Cointreau und blickte Lös aus glasigen Augen an.
»Ich kann nichts machen«, sagte er, als Lös sein Anliegen vorgebracht hatte. »Ich nicht. Ich will keinen Streit mit dieser weißen Laus. Nein, sicher nicht.« Und unter vielen ›nom de Dieu‹ und Beteuerungen, wie unangenehm diese Sache sei, und er begreife doch gut, daß Lös Eile habe, haha, wandte er sich von neuem seinem Buch zu.
Lös fühlte wieder die Angst. Alle wandten sich von ihm ab. Sicher, etwas lag in der Luft. Vielleicht hatte Bou-Denib schon Befehl gegeben, ihn überwachen zu lassen und eine Klage ans Kriegsgericht war schon eingereicht worden. Und doch schien es Lös wieder, als genüge diese begründete Furcht nicht, um das dunkle Angstgefühl zu erklären, das stündlich in ihm wuchs. Er stand da und knetete seine Finger. – Aber er müsse doch zum Juden, wegen der Schafe, brachte er stotternd hervor, der Leutnant sei auf der Jagd, darum komme er zum Chef. Eigentlich wußte er selbst nicht, warum er darauf beharrte, aus dem Posten gehen zu dürfen.
Wie umgewandelt war Narcisse plötzlich. So, der Leutnant sei nicht im Posten, warum Lös das nicht gleich gesagt habe. Dann, ja natürlich, dann… Er stand auf und wollte gleich selbst mitkommen. Lös solle sich das merken: Nie etwas Schriftliches aus der Hand geben, wenn es nicht unbedingt notwendig sei. Lieber zweihundert Meter laufen und eine Sache mündlich abmachen, als ein kurzes Billett schreiben; diese Papierfetzen können dann einmal, plötzlich, aus heiterem Himmel wie ein Blitz herniederfahren, als zerschmetternde Beweisesmacht. Nicht wahr, er könne Lös ja gut einen Erlaubnisschein an Baskakoff mitgeben, aber… So sei die Sache viel einfacher: Er, der Chef werde mitkommen und mit Lös durch die Pforte des Postens schreiten, vorbei an dem angewurzelten Baskakoff.
Der Chef ging voran durch die helle Nacht und sprach weiter über die Schulter. Lös bewunderte ihn. Es lag soviel Überzeugung des eigenen Wertes in seinen Worten und Gebärden, in der Art zu gehen besonders, die bei jedem andern komisch gewirkt hätte: die Füße, die in dünnen Ledersandalen steckten, berührten den Boden mit der Spitze zuerst, ließen den Fuß sanft abrollen bis zur Ferse, die einen kurzen Augenblick nur am Boden haftete und sich dann löste, mühelos und leicht, während das Knie den Fuß schon wieder nach vorne zog. Und selbst das Pendeln der Hüften wirkte beschwingt. Auch das wichtige Vorbringen von Gemeinplätzen sollte kameradschaftlich herablassend klingen, (›nicht wahr, wir beide verstehen uns doch!‹), aber auf Lös wirkte es auflockernd und niederdrückend zugleich. Doch als das Gerede des Chefs nicht enden wollte, bekam Lös Kopfweh: einen stechenden Schmerz über dem linken Auge. Und der Schmerz verstärkte sich noch, als der Chef den versteinerten Baskakoff grob anfuhr. Dieses Anschreien, das im leeren Posten wiederhallte, wirkte gemein. – Lös zog den Chef weiter. Dann blieb Lös allein…
Der Jude, welcher die Schafe zusammenkaufte (meist von den Einwohnern der umliegenden Ksars), um sie dann an den Posten zu liefern, war ein buckliges Männchen, mit schwarzen Haarlocken und graugesprenkeltem Bart. Er führte Lös auf das flache Dach des Hauses und schlug dann ein Geschäft vor. Sein Französisch war zu verstehen. Er erklärte: Der Korporal sei
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