Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
Abwechslung muß doch sein.
Klagen kann i net; in der Legion hab i ja alles g'habt, was i braucht hab, Zigaretten und Wein. Für die Weiber bin i schon z'alt. Und wenn i krank g'wesen bin, haben's mi ausruhen lassen im Spital, solang i hab woll'n. Na, all's was recht is. Da redens drüben und schreibens in allen Zeitungen: ›Die Fremdenlegion ist eine Schande, sie hungern und dürsten und werden geschlagen‹ (das plötzliche Hochdeutsch des alten Kainz wirkte pathetisch), aber es stimmt doch nicht. Hat dich einmal einer ang'rührt? Mi net. Trinkgelder ham's mir geben. Und wenn i nimmer hab laufen können: Geh, mon vieux, setz dich auf den Wagen. Wirklich anständig. Anständiger als beim K. und K. Infanterieregiment. Aber i mag doch net mehr. Schau, i möcht so gern wieder amol a garnierts Rindfleisch essen un die Kronenzeitung lesen. Die ewigen Schaf! Du, wie sagt ma ›Gebiß‹ auf französisch? – ›Un dentier‹« wiederholte er.
Während der letzten Sätze hatte jemand leise hinter dem Weinschuppen gestöhnt. Lös stand auf. Als er um die Ecke bog, sah er Frank, den Bäcker, auf dem Boden liegen, die Beine spannten sich, und die Absätze der schweren Schuhe gruben sich in den Boden ein. Lös kniete nieder und griff nach dem Handgelenk des Zuckenden.
Und auch der alte Kainz kam herangeschlurft, zog die Luft durch die Nase und schtietizte mit dem Daumen das Nasenloch. »Was is, Korporal, will er sterben?« Er schluckte laut auf und blieb dann stehen, mit pendelndem Oberkörper. »Aber na, er wird doch net sterben. Geh', hör auf, Frank, es glaubt dir's doch kaner. Geh, sei gscheit.«
»Aber Fieber hat er doch«, sagte Lös und ließ das Handgelenk los; der Arm fiel herab, als seien die Sehnen abgeschnitten.
»Was ist los, Frank?« fragte Lös. Er fühlte eine freudige Erwartung: Ein Kranker! Das war eine Abwechslung! Der Leutnant würde sich mit dem Fall befassen und nicht mehr Zeit haben, sich allzusehr um die Verpflegung zu kümmern. Das gab freie Zeit. Lös schob den Arm unter Franks Schultern, stützte den Kranken, führte ihn bis zur Hausmauer und schickte Kainz zum Leutnant, um den Fall zu melden. Dann holte Lös Schnaps, das Universalheilmittel, auch eine Stallaterne – die stellte er neben den Kranken. Im Licht der Petroleumflamme sah Frank wirklich sehr bleich aus.
Als er gefragt wurde, wo er Schmerzen habe, legte Frank die flache Hand auf den Hosengürtel. Da täte es weh, erklärte er, es seien Krämpfe, dann werde ihm schwindlig und er falle um. Aber auch im ganzen Bauche tue es weh, und dann habe er Durchfall, und erbrechen müsse er. Heut morgen habe er Nasenbluten gehabt. Seine Hände zitterten – dies Zittern schien ihn mit Befriedigung zu erfüllen.
Kainz kam zurück und meldete ärgerlich, der Leutnant wolle nicht gestört werden. Er sei müde von der Jagd und wahrscheinlich wütend, weil er nur einen Hasen geschossen habe. Pullmann stehe vor der Tür Wache.
Die beiden waren ein Stück in den Hof gegangen. Als sie Frank suchten, lag er am Ufer des kleinen Kanals und erbrach sich. Dann hoben sie ihn auf und trugen ihn in Lös' Hütte.
Sergeant Baguelin, der lange Komiker mit den Sommersprossen, war sofort bereit, mitzukommen, obwohl er eigentlich, wie er erklärte, Wichtigeres zu tun habe. Er hatte eine ganze Sendung neuer Chansons aus Frankreich erhalten und mußte sie zuerst Lös vorsummen. Da war zuerst das schöne:
»Dans sa petite mansarde
Tout là-haut, tout là-haut
Dans les cieux.«
und das ergreifende:
»Fleur de lilas…«
Aber schließlich kam er doch mit, denn er besaß das einzige Fieberthermometer des Postens, das er stets, neben der Füllfeder, in der oberen Tasche seines Khakirockes in einer glänzenden Metallhülse trug.
Baguelin steckte das Thermometer in die Achselhöhle. »Neununddreißig sieben«, sagte er nach zehn Minuten und zog die Mundwinkel gegen das magere Kinn. »Und erbrochen hat er auch. Das ist gefährlich. Sehr gefährlich.« Der alte Kainz wiederholte das letzte Wort und nickte dazu, wie mit geschwächten Halsmuskeln.
»Es könnte eigentlich Typhus sein.« Lös sagte es etwas verträumt und lächelte dazu mit milder Befriedigung. Sein Gesicht leuchtete, und die gleiche leuchtende Befriedigung verklärte auch die Gesichter der anderen.
Lös zählte die Vorteile eines derartigen Falles nachdrücklich auf: Quarantäne des Postens! Kein Verwaltungsoffizier aus Bou-Denib würde es wagen, die Warenbestände zu kontrollieren. Steigender
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