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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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und die so gefundenen Summen werden wieder waagrecht zusammengezählt. In der untersten Ecke rechts erhält man also eine Summe, die aus den Summen der waagrechten und senkrechten Kolonnen besteht. Und diese Summe muß stimmen. Wenn die aber endlich stimmt, so ist das noch gar kein Beweis, daß in der Verpflegung alles in Ordnung ist.
    Denn seit einem Jahre ist die Verwaltung der Verpflegung durch drei Hände gegangen. Zuerst durch die des französischen Sergeanten, dessen Name schon vergessen ist, und der nur im Gedächtnis der Alten im Kloster als ›mutatschu guelbi‹ weiterlebt, dann durch die Sitnikoffs, um schließlich an Lös' Fingern kleben zu bleiben. Bei der Übergabe der Magazinbestände in Anwesenheit Leutnants Mauriots hat sich jedesmal folgendes abgespielt: der Abgehende zieht den Neuen in eine Ecke und teilt mit, daß im ganzen etwa zweihundert Liter Wein, fünfzig Kilo Zucker und sonst noch einige Kleinigkeiten fehlen. Der Neue solle die Geschichte übernehmen, er werde das Fehlende schon irgendwo einholen, und übrigens, die Geschäfte seien ganz gut gegangen, hier… Ein Hundertfrankenschein wechselt den Besitzer.
    Dies war eine der Ursachen des großen Schnapsverbrauches in der Administration. Die fehlenden Quantitäten hatten sich nicht etwa vermindert, im Gegenteil, die Fehlbeträge wuchsen. Der Chef hatte verschiedenes gebraucht, was man ihm nicht gut abschlagen konnte. Man hatte Freunde, die gern Wein tranken, kleine Dienste waren zu bezahlen, und das Fäßchen mit Kartoffelschnaps enthielt nur hundertsiebzig Liter. Die Angst aber ließ sich nur mit viel Alkohol einschläfern.
    Lös saß allein in seiner Kammer. Der Abend war schon nahe, ein heißer, dumpfer, einsamer Abend. In der Ecke stand das Bett, ein grober Rahmen mit dickem Draht bespannt, die flache Matratze lag darauf, zerrissen, und aus den Rissen starrte das Alfagras. Nicht viele würden zu ihm halten, wenn die Katastrophe käme, dachte Lös. Der Chef vielleicht, und auch der war unberechenbar, der Capitaine, aber der konnte nicht viel tun. Leutnant Mauriot? Besser, man vergaß sein Vorhandensein.
    Lös sah Zeno deutlich vor sich und verband mit ihrer Gestalt viel Tröstliches. Es war gut zu wissen, daß man außerhalb dieses Postens, der doch eigentlich ein Gefängnis war mit seiner dreifachen Reihe Stacheldraht und dem Wächter am Tor, einen Menschen besaß, dem man vertrauen konnte, der vor allem das Land kannte, dessen Beziehungen eine Flucht erleichtern würden. Lös wunderte sich, wie unnatürlich gewunden sich seine Gedanken schlängelten. »Kein rechtes Vertrauen«, murmelte er, fluchte in drei Sprachen, was immer geschah, wenn er sich beim lauten Denken ertappte. Und sprach dann doch gedämpft weiter – »Kein Vertrauen. Weder zu mir noch zu ihr. Ich und fliehen! Zwei Ausrufungszeichen«, schrie er. Etwas stieß an seine Wade. Türk wedelte mit seinem Ferkelschwänzchen, denn er meinte wohl, er sei gerufen worden. Er zeigte seine Zähne und schien aufmunternd zu lächeln. Lös packte die Rechnungen zusammen und klopfte am Zimmer des Leutnants. Niemand antwortete… Nur unterdrücktes Schnaufen drang durch die geschlossene Tür. Als er sie öffnete, sah er eine plumpe Gestalt, die mit großer Beweglichkeit von der hinteren Wand des Zimmers in zwei Sätzen zum Fenster sprang. An dieser hinteren Wand stand die Stahlkassette, in der das Geld der Verpflegung bis zu seiner Ablieferung aufbewahrt wurde.
    Pullmann stand sehr verlegen am Fenster und putzte mit übertriebener Geschäftigkeit seinen Ledergürtel.
    – Wo der Leutnant sei, fragte Lös. – Auf der Jagd.
    Nach dieser kurzen Antwort mußte Pullmann husten (es wirkte wie ein Anfall, denn sein Gesicht wurde blaurot). Lös legte die Rechnungen auf Mauriots Tisch und ging zur Tür. Er hatte nicht Zeit, sie zu schließen. Pullmann schmetterte sie von innen ins Schloß. Türk ärgerte sich über diese Unhöflichkeit, bellte laut, fand dann Freude an seiner Stimme und setzte das Bellen fort, weniger gereizt scheinbar, nur zum eigenen Vergnügen.
    Am Tor stand Korporal Baskakoff Wache. Er wollte Lös nicht durchlassen: Befehl vom Leutnant. – Aber der Leutnant sei ja auf der Jagd! Höhnisches Achselzucken Baskakoffs. Seine Unterlippe hing fast bis aufs Kinn, und speckig glänzte die Haut seiner Wangen.
    Es war Feindschaft zwischen den beiden, seit Baskakoff einmal beim Chef vorstellig geworden war: er erhalte in der Verpflegung nicht die vorgeschriebenen Quantitäten.

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