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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Flüssigkeit selbst schien zu glühen wie helles Gold.
    Als er den Blick hob, um endlich die Belästigung festzustellen, traf er auf zwei Augen, die ihn aus einer Ecke heraus anstarrten. Zwingend waren diese Augen, doch ohne eigenes Leben, und eine aufreizende Forderung lag in ihnen. ›Eins von den Mädchen, das noch keinen eingefangen hat‹, dachte Lös und wollte sich wieder abwenden. Da aber stiegen die Augen langsam in die Höhe, kamen näher und hielten dicht vor ihm an, senkten sich langsam, tiefer und tiefer, bis sie über dem Boden stillstanden. Plötzlich wurden sie von einer dünnen Haut überdeckt. Weißes Licht erfüllte den Raum (die alte Fatma hatte eine Karbidlampe angesteckt), und grellbeleuchtet saß neben Lös eine Frau. Sehr dünn war ihr Mund, und in seiner Magerkeit wirkte ihr Gesicht hölzern. Hölzern waren auch die Falten ihres violetten Gewandes. Doch die Schultern, deren Rundung sich deutlich unter dem Stoff abzeichneten, ließen weiche Glieder vermuten. Nun stand sie wieder auf, um für Lös das leere Glas zu füllen. Ihr Schreiten war schwer, wie das eines beladenen Tragtieres.
    Sie kehrte zurück, stellte das Glas ab, indem sie sich behutsam niederbeugte, als fürchte sie, vornüberzufallen, richtete sich wieder auf, den Blick nach oben gewandt. Dann ließ sie sich unerwartet zu Boden gleiten und blickte Lös an, ausdruckslos.
    Aufreizend wirkte dieses schier leblose Gesicht. Nun öffnete ein unerwartetes Lächeln den Mund der Frau. Ein schmutziges Grinsen erschien, das gelbe, angefressene Zähne zeigte; auch die Augen machten die Veränderung mit, ein feuchtes Glimmen erhellte die Pupillen. Die Frau streckte die Hand aus, eine grobe, schmierige Hand mit rissigen Nägeln, die bis zu den Fingerbeeren abgeknabbert waren.
    »Warum immer so zimperlich tun?« fragte er sich. »Ist es nicht besser, die Einladung einfach anzunehmen?« Aber dennoch fühlte er, wie unwahr seine Überlegenheit war, der freie Entschluß lag nicht mehr bei ihm, ein Zwang gebot ihm, der Frau zu folgen, ein Zwang, den er zu leugnen versuchte und der ihn dennoch trieb, das Lächeln der Frau zu erwidern.
    Die Frau trank in kleinen Schlucken ihr Glas leer und blickte ihn spöttisch an. Ihre Erfahrung sagte ihr wohl, daß es gut sei, den Mann warten zu lassen. Lös sah den Raum, die Kameraden, er verstand die Satzfetzen, die seine Ohren trafen. »Come on«, sagte Smith, und die Geste, mit der er die Worte begleitete, war so deutlich, daß die Kleine, die wie eine Köchin aussah, ihm folgsam wie ein Hündchen nachtrippelte. Die Nacht des Hofes verschluckte auch diese beiden.
    Kainz bemühte sich verzweifelt, Lös' Blicke zu fangen, stand auf, verdrehte den Kopf und fuchtelte mit den Händen. Aber Fatma hielt ihn zurück, ihr geblähter Körper ließ ihn nicht durch, und ihre Arme umklammerten die Beine des Fortstrebenden. Lös sah den Alten endlich und winkte ab. »Wo ist der Chef?« rief er hinüber, und Kainz deutete auf die Tür, die in den Nebenraum führte. Aber kaum war Lös ein paar Schritte in dieser Richtung gegangen, wurden seine Hüften von schwammigen Händen gepackt. Fatma stand hinter ihm, erregt und beleidigt. Der Chef dürfe nicht gestört werden, stotterte sie. Kainz befreite seinen Korporal aus der Umklammerung, puffte Fatma an ihren Platz zurück (sie ließ es sich kichernd gefallen) und sprach dann Lös zu, bedächtig, wie ein weiser Arzt, dem alle menschlichen Schwächen wohlbekannt sind:
    »Weißt Korporal, die Traurigkeit und die Angst, das kommt alles nur vom Blut. Weil nämlich das Blut dann zu dick is. Geh, tu di erleichtern. Glaub mir, morgen bist du dann a ganz anderer Mensch. Und die dort, die is ganz recht. Net grad scheen, aber a weichs Hascherl. Die reinste Medizin, sag i dir. Viel besser als das magere G'stell, das du dir dort draußen ang'schafft hast.« Er schwieg bedächtig und nahm die Pfeife aus dem Mund, um den folgenden Worten Platz zu schaffen. Sogar zu hochdeutsch verstieg er sich und unterstrich außerdem noch die Worte mit dem feuchten Mundstück. »Glaub mir doch, Korporal, das dicke Blut ist an allem schuld. Ich weiß es aus Erfahrung, vierzig Jahr Erfahrung hab' ich…« Um jeden Widerspruch unmöglich zu machen, drehte er sich um und schritt, mehrfach nickend, auf seinen Platz zurück.
    Lös winkte der Frau und ging voran.
    Über die Mauer, die das Dach der sieben Zellen überragte, blickte ein riesiges weißbeleuchtetes Gesicht: der Mond. Die Nacht war kühl und hart, voll

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