Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
›Für Riesen sind sie hier nicht eingerichtet.‹
    Der Raum wurde von der Glut der beiden Kohlenbecken erhellt. Auf dem Lehmblock in der Ecke lag die Alte flach auf dem Rücken. Das eine Bein, entblößt bis über das Knie, baumelte herab, seine Gelenke waren geschwollen und die Krampfadern an den Waden wirkten wie phantastische Tätowierungen. Aber der Eintritt des Chefs ließ die Liegende auffahren, sie schnatterte durchdringend und stürzte sich wütend auf die Eindringlinge. Pullmann stellte sich vor den Chef und packte die Alte an den Handgelenken. Noch lauter wollte sie kreischen, aber der Chef beruhigte sie, indem er ihr mit einer Banknote das Gesicht fächelte. Da klatschte sie in die Hände, stieß ein schrilles Kreischen der Freude aus und wollte vor dem Chef die Knie beugen. Narcisse verhinderte dies und stellte Lös als ›Caporal Administration‹ vor. Liebliche Bilder schienen diese Worte im Kopfe der Alten auszulösen; denn sie lallte zurück, mit nach oben gedrehten Augen, holte aus ihrem Kleide eine bunte Ansichtskarte, die einen Hafen darstellte, mit dem Aufdruck: »Souvenir de Marseille«. Adressiert war sie an Madame Fatma B. M. C. Gourrama. »Gros baisers pour mutatchou guelbi«, stand neben der Adresse. Pullmann, der auch die Karte beäugte, wollte wissen, was B. M. C. bedeute. »Bordel militaire de Campagne«, sagte der Chef, im Tonfall eines Botanikprofessors, der eine Pflanze vor seinen Schülern bestimmt. Und als müsse er noch die besonderen Kennzeichen der Pflanze erläutern, fuhr er fort. »Steht unter der Aufsicht der Intendanz in Bou-Denib, die bei schlechtem Geschäftsgang für die Verpflegung der Frauen aufzukommen hat. Alle zwei Monate muß diese alte Dame ihre Rechnungen vorlegen. Begibt sich die Kompagnie auf Kolonne, so werden die Frauen mitgeführt. Die Verwaltung hat in diesem Falle für jede Frau ein Maultier zu stellen und außerdem zwei Lasttiere zum Transport des Zeltes und der Bagage. Der Major ist verpflichtet, alle vier Wochen eine Visite zu machen und die Kranken unnachsichtlich zu konsignieren. Das ist natürlich nutzlos… Aber Lös, mein Alter, was ist mit dir los?«
    Lös hatte seit der Szene am Tor kein Wort gesprochen. Auch jetzt blickte er mit steifen Gesichtszügen auf die Postkarte, die der Chef hielt, vorsichtig, zwischen den Fingerspitzen, als fürchte er, sich zu beschmutzen. »Komm Alter, komm!« sagte der Chef in väterlichem Tonfall, führte seinen Freund in eine Ecke, hieß ihn sich setzen und sprach eifrig auf ihn ein: Er solle sich doch aufraffen, die Frauen kämen gleich, die dumme Geschichte von vorhin sei doch vergessen, und die Angst vor dem Kriegsgericht sei doch einfach lächerlich. Sieh, sieh da kommen die Frauen schon!
    Und wirklich, gefolgt von einem Trupp bunter Kleider, nahte die Alte und klapperte mit einem Bund rostiger Schlüssel wie mit Kastagnetten. Bei dem Wort ›Frauen‹, das der Chef mit einiger Betonung ausgesprochen hatte, zerbrach Lös' Starrheit. Ein trockenes Aufschlucken zuckte durch seinen Körper, seine Augen füllten sich mit Wasser, er warf die Hand auf die Schulter des Chefs, die Stirne darauf und schluchzte ein hohes Wimmern, das kindlich klang. Der Chef zeigte sich auch dieser Situation gewachsen. Als wisse er, daß mitleidiges Bedauern die Sache nur verschlimmern könne, stellte er in belehrendem Tonfall die Tatsache einer großen Überreizung fest, bot eine englische Zigarette an und einen Schluck aus seiner Whiskyflasche. Lös mußte lachen, dies Lachen ließ er in ein Husten übergehen, sogleich begriff der Chef die Absicht, er klopfte mit seiner weichen Hand des anderen noch zuckende Schulterblätter. Auf diese Weise fiel es den übrigen nicht auf, daß Lös' Augen voll Tränen standen: »Er hat sich verschluckt«, bestätigte der Chef noch mit lauter Stimme. Alle, mit einer Ausnahme nur, waren viel zu sehr mit den erschienenen Frauen beschäftigt, um auf Lös zu achten. Allein der alte Kainz, der einsam auf der Kante des Lehmbettes saß, schüttelte bedauernd den grauen Kopf, während er unverständliche, doch sicher tröstende Worte murmelte und seine Hand zu einer segnenden Gebärde erhob.
    Nach Erledigung dieser Angelegenheit dämpfte der Chef den flackernden Lärm durch ein Zischen. Er winkte die Alte herbei, bestellte Tee, erhob sich schwerfällig, schritt tänzelnd die Front der Frauen ab. Eine kleine Negerin, mit kurzen wolligen Haaren und dem schlanken Körper eines Knaben, schien ihm besonders zu

Weitere Kostenlose Bücher