Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
falsch gemacht. Cayetana ließ sich nun einmal nichts einreden, das hätte er endlich wissen sollen. Sie tat, was sie wollte, sie sprach und schlief, mit wem sie wollte. Nichts Dümmeres hätte er tun können, als ihr den Peral verleiden wollen.
Wenigstens gab er’s jetzt auf zu debattieren, und sie trennten sich in Frieden.
In den nächsten Wochen sahen sie sich häufig. Sie sprachen weder über ihren großen Zwist noch über den Tod Don Josés. Das Unausgesprochene machte ihre Freundschaft dunkler, wilder, gefährlicher.
Er arbeitete viel in dieser Zeit. Agustín warf ihm vor, er arbeite nur mit der Hand und dem Auge, nicht mit dem Sinn. Agustín wurde wieder mürrischer, zänkischer, und Francisco erwiderte mit bösartigen Beschimpfungen.
Im stillen gab er zu, Agustín habe recht. Mehrmals kam ihm quälend die Vorstellung jenes unvollendeten Porträts der alten Marquesa. Es drängte ihn, dieses Bild fertigzumachen.
Er fragte bei Doña María Antonia an, ob sie ihm noch zwei oder drei Sitzungen gewähren wolle zur Vollendung ihres Porträts. Die Marquesa ließ ihm durch ihren Intendanten schreiben, sie habe auf Jahre hinaus keine Zeit; beigefügt war eine Anweisung auf den vereinbarten Preis für das vollendete Porträt.
Das Schreiben traf ihn wie ein Hieb ins Gesicht. Nie hätte ihn die Marquesa dermaßen gekränkt, wenn sie nicht überzeugt wäre von der Schuld Cayetanas und von seiner Mitschuld.
Auch Cayetana, die stets Beherrschte, wurde blaß, als er ihr davon erzählte.
Wenige Tage später wurden die Stiftungen und Schenkungen bekanntgegeben, welche die Herzogin von Alba anläßlich des Todes ihres Gemahls an Vereinigungen und Einzelpersonen verteilte. Doktor Don Joaquín Peral erhielt aus der Galerie des Palacio Liria »Die Heilige Familie« des Raphael.
Es war aber unter den Meistern aller Zeiten Raphael Sanzio derjenige, den die Spanier am höchsten schätzten, und dieses Rundbild der Heiligen Familie galt als eines der stolzesten Kunstwerke, welches die Iberische Halbinsel besaß. Ein Herzog von Alba hatte, als er Vizekönig von Neapel war, die kostbare Tafel aus Nocera entführt, die Herzöge von Alba sahen seither in dem Bild ihren schönsten Kunstbesitz, diese Virgen des Raphael war die Schutzheilige der Damen des Hauses. Wenn Doña Cayetana dem verdächtigen Arzt ein solches in Wahrheit königliches Geschenk machte, noch dazu gewissermaßen als Vermächtnis ihres Gatten, dann konnte es nur bedeuten, daß sie sich mit ihrer ganzen Person vor ihn stellte. War er schuldig, dann war sie es auch.
Ruhig bleiben, befahl sich Goya, als ihm Miguel und Agustín von dem neuen, ungeheuerlichen Akte Cayetanas erzählten. Er spürte, wie die befürchtete, riesige, rot und schwarze Welle herankam, ihn zu betäuben. Er straffte, was er an Kraft des Willens besaß. Die Welle brach sich, bevor sie ihn erreichte: er konnte hören, was die andern sagten.
Er schaute hinüber zur Virgen de Atocha und bekreuzte sich. Die Frau, indem sie ihre Schutzheilige so frech wegschenkte, forderte den Himmel heraus. Sie forderte die Marquesa heraus, die Königin, die Inquisition, das ganze Land. Es war von allem, was sie getan hatte, das Leichtsinnigste, Hochfahrendste, Dümmste, Großartigste.
Schwere Furcht war in ihm für sie und für sich. Er war nicht feig, man nannte ihn tapfer, aber er wußte, was Angst ist. Er dachte daran, wie oft er in der Schenke den Stierkämpfer Pedro Romero beobachtet hatte, wenn der sich unbeobachtet glaubte, und wie oft er da wahrgenommen hatte, wieviel Angst in dem tapfern Manne war, in seinen Augen, um seinen Mund, in jedem Glied seines Körpers. Und wie oft hatte er selber seine Angst überwinden müssen. Gefahr lauerte auf einen in jedem Winkel, um jede Ecke. Die Katze, wenn sie fraß, schaute sich um, immerzu, ob nicht ein Feind komme, und man konnte von ihr lernen. Man war verloren, wenn man sich nicht vorsah. Angst war notwendig, wenn man durchkommen, wenn man oben bleiben wollte.
Sie indes, sie, Cayetana,
War geboren in der Höhe,
Wo man frei war, töricht und groß-
Artig frei von jener Angst, die
Alle jene, welche nicht auf
Dieser Höh geboren waren,
Band und quälte. Und er war voll
Neidischer Bewund’rung, weil sie
War, so wie sie war, so töricht
Und so furchtlos. Und sein eignes
Herz erschien ihm kümmerlich und
Enge vor dem wilden, freien
Dieser Frau.
Er haßte tiefer
Noch als früher den verhaßten
Arzt, Don Joaquín, und wußte
Tiefer noch als früher,
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