Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Cayetana hatte die Carta orden erhalten, einen handschriftlichen Befehl des Königs.
Sie empfing Francisco im Schlafzimmer, er fand sie im Begriff, sich für die Reise anziehen zu lassen, im Unterkleid, ohne Schuhe. Während sie den Zofen Weisungen gab, erzählte sie ihm. Sie hatte die Stadt noch am gleichen Tag zu verlassen und sich für unbestimmte Zeit auf eine ihrer andalusischen Besitzungen zu begeben. Es war ihr ausdrücklich verboten, das Königreich Andalusien ohne besondere Erlaubnis zu verlassen. »Ich werde auf Umwegen reisen«, sagte sie. »Ich werde so reisen, daß ich nur auf Boden nächtige, der mir gehört.« Sie lachte über den Wirrwarr ringsum. Das wollige, weiße Hündchen kläffte.
Sein Herz verlangte danach, sie zu begleiten, jetzt bei ihr zu sein, da sie so aufgeschlossen und wunderbaren Mutes war. Und darauf sollte er verzichten, verzichten gerade auf die Wochen, da sie ganz und ihm allein gehören würde. Er wird nicht verzichten. Lieber verzichtet er auf das Bild, das er fertig im Gemüte trägt, lieber auf Ruhm und Karriere. Er will mit ihr sein jetzt, er ist voll des glühenden Willens, es ihr gleichzutun, die ganze Welt herauszufordern, wie sie es getan hat mit ihrem kühnen, stolzen, törichten, bewundernswerten Geschenk an diesen albernen Doktor. Doch im nächsten Augenblick, ebenso glühend, ist in ihm der Wille zu seinem Bild. Herrisch verlangt ihn nach dem Bilde, das Bild ist in ihm, seine ganze Farbenflut, funkelnd, glitzernd, strahlend, blitzend, und daraus hervortauchend die nackten Köpfe: »Die Königliche Familie« des Goya, nicht wetteifernd mit der »Königlichen Familie« des Velázquez, aber auch, wahrhaftig, ein Bild, das sich sehen lassen kann. Er sagte, ein wenig heiser: »Darf ich Sie begleiten, Doña Cayetana?«, und sogleich, halbherzig, fügte er hinzu: »Wenigstens den ersten Tag?«
Sie hatte ihn angeschaut während der Augenblicke, da all dieses in ihm vorging, mit ihren menschenkennerischen Augen, und er hatte das unbehagliche Gefühl, sie wisse genau, was in ihm vorging. Nun er sein schwungloses Anerbieten vorgebracht hatte, lachte sie, nicht einmal unfreundlich. Trotzdem war er gekränkt. Bedeutete es nichts, wenn der Maler des Königs das Werk im Stich ließ, das ihn zum Ersten Maler machen sollte, und sich bereit erklärte, eine Dame, die in Ungnade war, auf dem Weg in die Verbannung zu begleiten? »Ich weiß es zu schätzen, Don Francisco«, sagte sie, »was Sie mir angeboten haben. Aber Sie sind ja ein besonnener Mann, und diesmal will auch ich besonnen sein. Wenn Sie einen Tag lang neben meinem Wagen herreiten und seinen Staub schlucken, nur um dafür niemals Erster Maler zu werden, dann werden Sie das drei Tage später bereuen und für Ihr ganzes Leben. Ist es nicht so? Und ich will gar nicht denken an die schönen Namen, die Sie mir dann alle die Jahrehindurch im stillen an den Kopf werfen würden, vielleicht nicht einmal im stillen. Also: vielen Dank, Francho«, und sie stellte sich auf die Fußspitzen und küßte ihn.
Dann sagte sie leichthin: »Übrigens begleitet mich natürlich Don Joaquín, und ich bin in jeder Hinsicht in guter Hut.«
Er hatte annehmen müssen, daß Doktor Peral sie begleiten werde, es war selbstverständlich. Dennoch traf es ihn.
Diener riefen sie zum Wagen.
»Kommen Sie bald nach, Francisco!«
Sagte sie, und durch die leeren
Worte klang Verlangen. »Malen
Sie Ihr Bild zu Ende wie der
Hast’ge Lukas! Fahren Sie nach
Andalusien, als ob das
Heilige Offizium hinter-
Drein geritten käme!«
29
Bis jetzt hatte Goya seinem Agustín keine Gelegenheit zu einem richtigen Gespräch gegeben. Doch kaum war Cayetana fort, da sagte er: »So, du saurer Agustín, jetzt zeige ich dir, was ich gemacht habe«, und er rollte die Skizzen auf und befestigte sie mit kleinen Nägeln auf Brettern.
Agustín stand davor, trat zurück, ging wieder näher, stieß den großen, hügeligen Kopf gegen die eine Skizze, gegen die andere, schluckte, schmatzte mit dem langen, dünnen Mund. »Ich will dir erklären –«, hub Goya an. Doch: »Sag jetzt nichts«, winkte ihm Agustín ab, »ich weiß schon.« – »Du weißt gar nichts«, sagte Goya, aber er schwieg und ließ den andern weiterschauen.
»Carajo!« rief schließlich Agustín. Es war dies aber einrichtiger, mundfüllender, ungeheuer obszöner Maultiertreiberfluch, und aus der Art, wie Agustín ihn ausstieß, erkannte Francisco, daß er das Bild begriffen hatte. Trotzdem konnte Francisco
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