Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Cayetana dehnte sich träge.
Francisco war wunschlos glücklich. Als er gestern angekommen war, spät am Nachmittag, war sie herausgelaufen, ihnzu begrüßen, sie hatte höchst undamenhaft ihre Freude bezeigt und ihn in Gegenwart des Mayordomo umarmt. Dann, während er badete und sich umzog, hatte sie durch die offene Tür mit ihm geschwatzt. Während der ganzen Reise hatte er befürchtet, er werde in Sanlúcar Gäste vorfinden; er hatte sie lange warten lassen und hätte ihr’s nicht verdenken können, wenn sie sich Gesellschaft eingeladen hätte. Aber niemand war aufgetaucht, nicht einmal Doktor Peral, sie hatten allein zu Abend gegessen, es war ein fröhliches Abendessen gewesen, sie hatten geschwatzt und kindliche und weniger kindliche Späße gemacht, kein stacheliges Wort war gefallen, auch die lange, üppige Nacht hindurch hatte kein böser Gedanke ihn heimgesucht, es waren wunderbare Stunden gewesen.
Sie schlug die Decke zurück, setzte sich aufs Bett. »Sie brauchen meinem Lever nicht beizuwohnen, Don Francisco«, sagte sie. »Schlafen Sie noch ein wenig, oder schauen Sie sich das Schloß an, oder gehen Sie im Garten spazieren. Ich treffe Sie eine halbe Stunde vor dem Essen beim Belvedere zu einer kleinen Promenade.«
Er fand sich frühzeitig beim Belvedere ein. Man hatte dort einen schönen Blick auf das Haus und auf die Landschaft. Wie die meisten Häuser hier in der Gegend von Cádiz war der weitläufige Bau in arabischem Stil gehalten, die von wenigen Fenstern unterbrochenen Mauern waren sehr weiß, von dem flachen Dach zielte ein schmaler Aussichtsturm in den Himmel. Die Gärten senkten sich terrassenförmig. Breit und träg floß der Guadalquivir ins Meer. Die Stadt Sanlúcar und ihre Vega lag wie eine Oase inmitten von lauter Sand; weithin zu beiden Seiten der Weingärten und Olivenhaine streckte sich die flache Landschaft, gelblichweiß. Magere Wälder von Kiefern und Korkeichen mühten sich ab inmitten des Sandes. Dünen wellten. Weiß schimmerten die Salinen.
Goya sah ohne viel Anteil über die Landschaft hin. Ob die Berge von Piedrahita den Hintergrund abgaben oder die Dünen von Sanlúcar, ihm war wichtig, daß er mit Cayetana allein war, fern vom Hofe, fern der Stadt Madrid.
Doktor Peral gesellte sich zu ihm. Sie führten ein lässiges Gespräch. Peral erzählte aus der Geschichte des Hauses, das vor ihnen lag. Der Graf Olivares hatte es gebaut, der, den Velázquez so oft gemalt hatte, der allmächtige Minister des Vierten Philipp; seine letzten, bittern Jahre der Verbannung hatte Olivares hier verlebt. Dann hatte Don Gaspar de Haro, sein Neffe und Nachfolger, an dem Hause weitergebaut, und er war es, nach dem das Schloß »Casa de Haro« hieß.
Später, ohne daß Goya hätte fragen müssen, erzählte Peral von den Ereignissen der letzten Wochen. Große Gesellschaftsabende hatte Doña Cayetana natürlich nicht geben können, da sie ja in Trauer war, doch waren viele Gäste dagewesen, aus Cádiz, aus Jerez, bis aus Sevilla waren sie gekommen. »Wo ein guter Knochen ist, sammeln sich die Hunde«, dachte Goya das alte Sprichwort. Zuweilen auch war man in Cádiz gewesen, in dem Stadtpalais der Herzogin, in der dortigen Casa de Haro. Einmal, verschleiert, hatte Doña Cayetana einer Corrida in Cádiz beigewohnt; auch war der Stierkämpfer Costillares zwei Tage hier im Schloß zu Gast gewesen. Goya hatte nicht erwartet, daß Cayetana die ganze Zeit über auf ihrem Aussichtsturm stehen und nach ihm Ausschau halten werde, wie es die Damen in Pepas Romanzen taten; trotzdem war in ihm eine leise Verstimmung.
Cayetana kam, in ihrem Gefolge die Dueña, der Page Julio, das Negermädchen María Luz, das Hündchen Don Juanito und mehrere Katzen. Sie hatte sich mit besonderer Sorgfalt angezogen, offenbar Goya zuliebe, er freute sich. »Es ist gut«, meinte sie, »daß wir es nicht mehr halten wie zur Zeit unserer Großeltern, da eine Witwe Schwarz tragen mußte bis zu ihrem Ende oder bis zu ihrer Wiederverheiratung.« Er war erstaunt über die Unbefangenheit, mit der sie von ihrer Witwenschaft sprach.
Peral bat, sich zurückziehen zu dürfen. Die andern gingen durch die Gärten, eine kleine Prozession; zu beiden Seiten, mit hochgestellten Schwänzen, wanderten die Katzen. »Sie strecken den Zeigefinger vielleicht noch ein wenig herrischerhinunter als früher, Cayetana«, sagte er, »sonst kann ich an Ihnen keine Veränderung wahrnehmen.« – »Und Sie wölben die Unterlippe noch ein wenig weiter vor,
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