Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
war, hoffnungslos und verzweifelt, er schaute wie der Mann, der Goya aus dem Spiegel entgegengeschaut hatte.
Am andern Morgen, sehr früh, zwei Stunden vor der festgesetzten Zeit, fanden sich Francisco und sein Treiber auf der Corredera ein, dem großen, regelmäßigen Platz von Córdoba, auf dem die Hinrichtung stattfinden sollte. Schon war da eine dichte Menge, auch die Fenster, Balkone, Dächer waren voll von Zuschauern. Der Raum unmittelbar um das Schafott war von Soldaten abgesperrt, dort wurden nur Bevorzugte zugelassen, Beamte, Damen und Herren der Gesellschaft. »Wollen sich Euer Exzellenz nicht zu erkennen geben?« drängte der Treiber. Aber obwohl es anstrengend war, inmitten der Menge zu stehen, gestoßen und beengt, und obwohl die Sicht zur Bühne der Hinrichtung nicht eben gut war, zog es Goya vor, mitten unterm Volk zu erleben, was sich da vorne vollziehen sollte. Zum ersten Mal seit dem Schlag, der ihn getroffen hatte, vergaß er sein Unglück und wartete gespannt wie die andern.
Verkäufer von Süßigkeiten und von Würstchen drängten sich durch die Menge, Romanzen von den Taten des Puñal wurden feilgeboten, Stühlchen wurden vermietet, daß man draufsteigen und besser sehen könne. Frauen mit ihren Säuglingen waren da, sie jammerten, wie sie gedrückt und gestoßen würden, man achtete nicht darauf. Die Ungeduld der Menge nahm zu; noch hatte man eine Stunde zu warten, noch immer eine halbe Stunde, wie langsam verging die Zeit. »Ihm vergeht sie schneller«, grinste einer. Goya verstandnicht, was die Leute sagten, aber er erriet es, er war vertraut mit der Menge, spürte mit ihr. Er wartete finster, grausam, mitleidig und vergnügt wie die andern.
Endlich schlug es zehn von der Kathedrale, und nun drängten alle stärker und reckten die Hälse. Aber noch immer nicht erschien der Puñal. Denn Spanien war ein frommes Land, und die Uhr des Tribunals war zehn Minuten verspätet eingestellt; zehn Minuten mehr sollten dem Verbrecher vergönnt sein, vielleicht zur Begnadigung und vor allem zur Reue.
Jetzt aber waren auch die zehn Minuten um, und da war er.
Gekleidet in das gelbe Hemd des Verbrechers, umgeben von Franziskanermönchen, gestützt von ihnen, ging er seinen letzten, kurzen, endlosen Weg. Ein Mönch hielt ihm das Kruzifix vor, und immer von neuem machte er halt, es zu küssen und das Leben zu verlängern. Alle spürten mit sein Zaudern, gönnten es ihm und hätten ihn doch am liebsten vorwärts gestoßen.
Nun aber war er an den Stufen des Schafotts. Er kniete nieder, dicht umgeben von den Mönchen, um, von der Menge ungesehen, ein letztes Mal zu beichten. Dann, begleitet von einem einzigen Mönch, einem beleibten, freundlich aussehenden, erstieg er die Stufen.
Oben, in abgerissenen Sätzen, mit oft versagendem Atem, sprach er zu der Menge. Goya konnte nicht verstehen, was er sagte, wohl aber sah er sein Gesicht und hinter seinem gespielten Gleichmut seine grenzenlose Angst. Mit Spannung wartete er auf den Satz, in dem der Verbrecher, wie das üblich war, dem Henker seine Verzeihung aussprechen würde. Denn der Spanier verachtete tief den Henker, und das von der Religion vorgeschriebene Bekenntnis der Verzeihung mußte dem Puñal die letzten Minuten noch bitterer machen. Die Augenlider zusammengekniffen, schaute ihm Goya auf den Mund, und es glückte ihm, die Worte zu verstehen. Es sagte aber der Puñal: »Mein Verbrechen tötet mich und nicht diese Kreatur.« – »Diese Kreatur«, sagte er, »ese hombre«, daswar eine besonders geringschätzige Wendung, und Goya fühlte Befriedigung, daß der Räuber seiner religiösen Pflicht genuggetan und gleichzeitig seinem Henker die gebührende Verachtung bezeigt hatte.
Nun aber sprach der Bandit seine letzten Worte: »Viva la fe«, rief er, »viva el Rey, viva el nombre de Jesús. – Es lebe der Glaube, es lebe der König, es lebe der Name Jesu.« Die Menge hörte zu, nicht sehr beteiligt, sie stimmte nicht ein. Erst als der Puñal rief: »Viva la Virgen Santísima«, brachen sie aus in den ungeheuern Schrei: »Viva la Santísima«, und auch Francisco stimmte ein.
Inzwischen hatte der Henker seine Vorbereitungen getroffen. Er war ein junger Mensch, er amtierte heute zum ersten Mal, alle waren gespannt, wie er sich bewähren werde.
Durch das Schafott in die Erde gerammt war ein starker Pfahl. Davor stand aus rohem Holz ein Hocker. Auf diesen jetzt drückte der Henker den Puñal. Dann band er ihm die nackten Arme und Beine so fest, daß sie
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