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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
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anschwollen und dunkel anliefen. Vorsicht war geboten; erst vor kurzem hatte ein Verbrecher seinen Henker bei der Ausübung seines Amtes umgebracht. An dem Pfahl befestigt war ein Halseisen. Dieses, den Garrote, legte der Henker dem Puñal um den Hals. Der beleibte Mönch aber steckte ihm ein kleines Kruzifix in die gefesselten Hände.
    Nun war alles bereit. Der dem Tod Bestimmte saß da, Arme und Beine gebunden, den Kopf durch das Halseisen nach hinten an den Pfahl gepreßt, sein dem blauen Himmel zugekehrtes Gesicht mit den knirschenden Zähnen war voll von irrsinniger Angst. Der Mönch an seiner Seite war etwas zurückgetreten, er beschattete seine Augen mit der Hand gegen die blendende Sonne. Der Henker packte den Griff der Schraube, der Richter gab das Zeichen, der Henker warf dem Puñal ein schwarzes Tuch übers Gesicht, dann, mit beiden Händen, drehte er die Schraube zu, so daß der eiserne Ring den Puñal erdrosselte. Atemlos sah die Menge zu, wie die Hände des Erstickenden flatterten, die Brust sich ungeheuerbäumte. Vorsichtig dann spähte der Henker unter das Tuch, drehte ein letztes Mal die Schraube, nahm das Tuch fort, faltete es, steckte es in die Tasche, atmete befriedigt auf und verließ das Schafott, um sich eine Zigarre anzuzünden.
    Sehr sichtbar jetzt für alle in der grellen Sonne war das Gesicht des toten Mannes, verzerrt, bläulich angelaufen inmitten des wirren Bartes, die Augen verdreht, der Mund offen mit hängender Zunge. Goya wußte, er werde sich dieses Gesicht jederzeit wieder vor Augen rufen können.
    Auf die Bühne nun wurde eine große Kerze gestellt, vor die Bühne eine schwarze Bahre, auch ein Tisch mit zwei großen Tellern, in welche die Leute Münzen werfen mochten, damit Messen gelesen werden könnten für den Toten. Eifrig diskutierten die Zuschauer das Gesehene. Man hatte dem Henker doch recht deutlich angemerkt, daß er gerade erst aus der Lehre kam, und alles in allem war auch der Puñal nicht so tapfer gestorben, wie es sich für einen so großen und berühmten Räuber gehörte.
    Der Körper blieb ausgestellt bis zum Nachmittag. Die meisten Zuschauer, auch Goya und Gil, verharrten. Dann endlich erschien der Schinderkarren. Alle wußten, daß jetzt der Leichnam vor die Stadt befördert wurde, in die Bergwildnis, auf ein kleines Hochplateau, genannt la Mesa del Rey, damit er dort in Stücke gehackt und diese in einen Abgrund geworfen würden. Langsam zerstreuten sich die Leute. »Dem Wolfe das Fleisch, dem Teufel die Seel«, sangen und summten sie auf dem Nachhauseweg.
    Goya und Gil aber verließen Córdoba und zogen weiter nordwärts.
    Wie es Sitte war, wenn man auf Maultieren reiste, nahmen sie oft, die großen Straßen vermeidend, Pfade, die kürzend über Berge und Täler führten. An den großen Straßen gab es Fondas und Posadas, Gasthäuser und Wirtshäuser, doch an diesen Nebenpfaden gab es nur Ventas, kümmerliche Herbergen mit wenig zu essen, ein paar Strohlagern und viel Flöhen. Immer von neuem wunderte sich Gil, daß der ErsteMaler des Königs mit so dürftiger Unterkunft vorliebnahm; aber Goya erwiderte: »Kein sanfteres Kissen als ein müder Rücken.« Und er schlief gut und traumlos.
    Eine immer neue Erfahrung war es dann, wenn man von den öden Seitenpfaden wieder in die Hauptstraße einbog. Da fuhren in den Wagen der Königlichen Post, in den Galeras, Tartanas und Carrozas, Kaufleute und Priester und Rechtsanwälte, da zogen zu Maultier und zu Fuß Studenten, Mönche, kleine Handelsleute, zweideutige Fräuleins, Hausierer, die ihr Glück auf dem nächsten Jahrmarkt suchten. Da fuhren Caditanische Handelsherren in modernen, eleganten Reisewagen und Granden in altmodischen Coches de Colleras mit Vergoldung, feierlichen Wappen und viel Vorspann und Livree. Francisco waren diese Straßen vertraut, und vielleicht sah er jetzt ihre Buntheit schärfer, da ihm ihr Lärm verstummt war. Aber er wußte um diesen Lärm. Kannte das Chirrio, das wilde Knarren der Räder, die man selten schmierte, damit das gewaltige Geknirsche einen von weit her ankündige und die wilden Tiere scheuche. Kannte die fröhliche Lautheit der Reisenden und das aus voller Brust kommende Geschrei der Kutscher und Treiber. Sah auch jetzt die Räder sich drehen, die Hufe der Tiere aufschlagen, die Münder der Reisenden und der Kutscher aufgehen und sich schließen, aber den Klang mußte er aus der Erinnerung beisteuern. Das war ein aufreibendes Spiel, manchmal lustig, zumeist

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