Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
hatte es ihr nicht übelgenommen, daß sie ihren Bruder für den größern Maler hielt, daß sie nichts verstand von seinem Werk und daß sie voll war von stillem Stolz auf ihre Familie, die soviel angesehener war als seine eigene. Es hatte Jahrzehnte gedauert, ehe sie zu begreifen anfing, wer er als Künstler war und was er in der Welt galt. Aber geliebt hatte sie ihn, ehe sie das wußte, von Anfang an; sonst hätte sie, eine Bayeu, nicht einen Goya geheiratet. Er hatte sie geheiratet, teils weil er sie liebte, teils und wohl vor allem, weil sie eine Bayeu war. Sicher hatte sie sich das seit langem klargemacht. Und ihn weiter geliebt und ihn ertragen. Gespürt hatte er von je, daß sie vieles hinuntergeschluckt hatte, und oft hatte er Mitleid mit ihr gehabt. Ein warmes Gefühl war in ihm, und er war es zufrieden, daß nun sie ihren Grund hatte, ihn zu bemitleiden.
Ganz auf aber ging ihm das Herz beim Anblick seines Sohnes Javier. Der war kein Knabe mehr, er war jetzt ein junger Mann, an dem nicht viele Frauen vorbeigingen, ohne zu äugeln. Javier erzählte, er habe in diesen letzten Monaten vielnachgedacht, er sei nun entschlossen, ein Künstler zu werden, und er hoffe, der Vater werde ihn als Schüler annehmen. Goya sah voll Zärtlichkeit und Stolz auf seinen lieben Javier. Diesen Sohn zu haben, war starker Trost nach dem Verluste Marianos. Er wünschte nicht, daß der Weg des Jungen so hart sein sollte wie sein eigener. Der Junge war ein geborener Hidalgo, Don Javier de Goya y Bayeu. Nach den Gesetzen Aragóns hatte ein Hidalgo Anspruch auf eine Rente von seiten des Vaters, damit er sich nicht durch Arbeit schänden müsse. Nun lebte man zwar in Kastilien, aber das aragonesische Gesetz war gut, Francisco wird es gerne befolgen. Er wird den Sohn ins Ausland schicken, nach Italien, nach Frankreich. Er selber hatte in Italien zugenommen an Kunst, aber er hatte sich hart mühen müssen, Reis und Brot und Käse für die nächste Mahlzeit zu erlisten. Javier soll es leicht haben, zu leben und zu lernen.
In dem mürrischen Gesicht Agustíns, als er Francisco wiedersah, zuckte und arbeitete es. Goya wollte keine Worte des Beileids hören, er sagte barsch: »Ist viel schiefgegangen, während ich fort war? Hast du viel Unheil angerichtet?«, und er hieß ihn mit Zapater über die Bücher gehen.
Später aber sagte er ihm, er solle ihn sehen lassen, was er in der Zwischenzeit gemacht habe, und Agustín zeigte ihm seine Radierungen, angefertigt nach der neuen Methode des Jean-Baptiste Leprince. Agustín Esteve hatte die Methode verbessert, Goya war überrascht, was alles sich damit erreichen ließ. »Hombre!« sagte er mehrere Male, und der mit Lob sparsame Mann rühmte mit starken Worten den Freund und Gehilfen. »Das Verfahren müßte jetzt die Methode Esteve heißen«, erklärte er. Die alte, tiefe Bindung zwischen den beiden war wieder da.
Und jetzt zeigte ihm Francisco die Zeichnungen, die er selber gemacht hatte, in Saragossa. Agustín war aufgewühlt. Er bewegte die Lippen, Goya wußte nicht, ob er sprach; Agustín hatte, wenn ihn was erregte, eine komische Art zu schmatzen und zu schlucken. Er schaute und schaute, er konnte sich nicht satt sehen. Schließlich, mit sanfter Geste,nahm ihm Goya die Zeichnungen weg. »Nun sag schon was«, forderte er ihn auf. Agustín aber sagte: »Das ist deine richtige Kunst«, und mit seinen großen, plumpen, gewissenhaften Buchstaben schrieb er’s ihm hin. Der erfreute Goya spaßte: »Also mit meiner Malerei ist es nichts?«
Andern Tages meldete sich Francisco bei Hofe zurück, nicht ohne Unbehagen und Besorgnis. Allein er wurde mit außerordentlicher Rücksicht behandelt, sogar der arrogante Marqués de Ariza zeigte sich teilnahmsvoll beflissen.
Don Carlos selber suchte durch Jovialität über die Befangenheit angesichts des Tauben hinwegzukommen. Er trat ganz nahe an ihn heran und schrie ihn furchtbar an: »Man malt ja nicht mit den Ohren, sondern mit den Augen.« Goya, etwas erschreckt, verstand nicht, verneigte sich tief und reichte ehrerbietig Zeichenblock und Stift hin. Der König leuchtete auf, begriff, freute sich, daß es ein Mittel gab, sich mit seinem Ersten Maler zu verständigen. Er schrieb ihm also den tröstlichen Satz auf, den er ihm zugeschrien hatte. »Man malt ja nicht mit den Ohren«, schrieb er, »sondern mit den Augen und Händen«, und da er einmal im Schreiben war, setzte er gewohnheitsmäßig seine Unterschrift hin: »Yo el Rey«, und auch den
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