Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
König Philipps Lieblingsplatz, von dem aus er sein Schloß hatte wachsen sehen, Stein um Stein. Die Alba setzte sich, der Fächer lag ihr geschlossen im Schoß, die Dueña und die beiden Kinder ließen sich hinter ihr nieder. Goya blieb stehen. »Setzen Sie sich doch auch«, befahl sie über die Schulter. Er hockte sich auf den Boden, ungelenk, behindert durch den Degen, behindert durch spitze Steinchen. »Cubríos, bedecken Sie sich«, befahl sie weiter, und er wußte nicht, ob sie mit oder ohne Absicht, im Ernst oder ironisch die Formel brauchte, mit welcher der König seine zwölf Ersten Granden auszeichnete.
Da saß sie, ein launisches, zartes Figürchen, auf dem Steinsitz, und schaute über die flirrende Wüste auf das Schloß. So mochte ihr Ahnherr gesessen sein, den der fanatische König Philipp manches Mal hierherbefohlen hatte; hier mochte er, dieser frühe Alba, die Weisungen überdacht haben, die ihm der König in seiner leisen, höflichen Art erteilt hatte, Befehle, ein unfügsames Reich zu überfallen, eine ketzerische Provinz zu vernichten.
Die Alba saß vollkommen still, auch die andern hielten sich reglos. Das Flimmern der großen Ödnis, aus welcher das Schloß herauswuchs, starr und tot wie die Ödnis selber, lähmte sie.
Goya starrte über die steinerne Wüste wie die andern. Plötzlich sah er aus der Ödnis, über die Ödnis, etwas sichbewegen, ein Geschöpf, wesenlos und doch sehr deutlich, weißlich graubraun wie die Wüste, eine riesige Kröte, oder war es eine Schildkröte? Ein Etwas mit einem Menschenkopf, aus dem gewaltige Augen herausquollen. Langsam, doch unausweichlich kroch das Wesen näher; breit, freundlich, höllisch grinsend, seiner selbst und seiner Beute sicher, kam es auf einen zu. Man sollte gehen, warum blieben sie alle sitzen? Es gab Geister, die nur des Nachts arbeiteten, und solche, die bei Tag Macht hatten. Die waren selten, doch gefährlicher. Goya kannte das Gespenst, welches da im hellen Tag herankroch, er hatte schon als kleines Kind von ihm gehört, es trug harmlose, ja, angenehme Namen, es hieß »El Yantar«, Das Mittagessen, oder, noch freundlicher, »La Siesta«. Aber es war ein tückischer Geist mit seinem Grinsen und seinem Flirren und seiner Freundlichkeit, er zeigte sich nur in der Sonne, und man sollte Kraft haben und aufstehen und gehen.
Da hob die Alba zu sprechen an, und sogleich verschwand der Krötengeist, die Wüste wurde leer. »Wissen Sie«, sagte die Alba, »daß mir diesmal während meines Aufenthalts im Escorial etwas Außerordentliches zustoßen wird?« – »Wie kommen Sie darauf?« fragte Goya. »Meine Eufemia hat es mir gesagt«, antwortete Cayetana, »und auf sie kann man sich verlassen. Sie weiß viel von der Zukunft. Sie hält es mit Hexen. Einmal, wenn sie mich ärgert, werde ich sie der Inquisition anzeigen.« – »Reden Sie doch nicht so lästerlich daher, Lämmchen meiner Seele«, bat die Dueña. »Der Herr Hofmaler ist ein kluger Mann und versteht einen Scherz. Aber wenn Sie sich gehenlassen, reden Sie einmal auch so vor andern.« – »Erzähl uns was, Eufemia«, befahl die Alba. »Erzähl von denen, die lebendig begraben sind in den Grundmauern des Escorial.« – »Das sind alte Geschichten«, antwortete die Dueña, »und wahrscheinlich kennt sie Don Francisco.« Aber: »Zier dich nicht«, befahl Cayetana, und da erzählte Eufemia.
Ein junger Mensch in dem Dorfe San Lorenzo, ein gewisser Mateo, schimpfte auf die hohen Abgaben, welche dieKlosterbrüder von den Bauern verlangten, und war überhaupt ein Ketzer. Die Klosterbrüder zeigten ihn an. Da verwandelte sich Mateo in einen schwarzen Hund und heulte die Nächte durch, um die Dorfleute gegen die Klosterbrüder aufzuhetzen. Schließlich hängten die Brüder den Hund auf den First des Klosters. Da verwandelte sich der Hund von neuem, erschien im Dorfe in Gestalt eines stattlichen, jungen Kriegsmannes, behauptete, er habe hundertsiebenundzwanzig Mohren erschlagen, und hetzte, auch er, gegen die Klosterleute. Doch ein gelehrter Mönch entdeckte, daß der Kriegsmann, der Hund und der frühere Mateo eines waren, und zeigte ihn der Inquisition an. Als die Häscher kamen, wurde der Kriegsmann wieder zum Hunde. Da fingen die Klosterbrüder den Hund und begruben ihn lebendig im Fundament des Erweiterungsbaues; denn es war um die Zeit, da das Kloster in den Escorial umgewandelt wurde. »Noch jetzt«, schloß die Alte, »hört man den Hund manchmal heulen, wenn Vollmond ist.« – »Eine
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