Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Wesens ausgespäht, daß er sie aus dem Gedächtnis aufzeichnen konnte. Trotzdem schien sie ihm anders, sooft er sie traf, sie blieb ihm unberechenbar.
Was immer er tat, wenn er dachte, malte, mit andern sprach, stets war irgendwo in seinem Kopf Cayetana. Die Verknüpfung mit ihr war sehr anders als die ruhige, sichere Verbundenheit zwischen ihm und Josefa und sehr anders als dieglücklichen oder quälenden Neigungen, die er früher für diese oder jene Frau verspürt hatte.
Ihre Wandlungen erfolgten jäh, und was sie war, war sie ganz. Sie hatte viele Gesichter, er sah die vielen, das letzte unter den vielen sah er nicht. Es war da, er spürte es, wußte es, doch fand er nicht das Einheitliche, Verbindende hinter den hoffnungslos verschiedenen Masken. Sie war jetzt dieses Steinbild, jetzt jenes, aber immer wieder kehrte sie zurück in den Stein, den er nicht fassen und begreifen konnte. Er trieb sein altes Spiel, zeichnete dieses ihrer Gesichter in den Sand, jenes; ihr wahres Gesicht zerrann ihm wie sein Sand.
Er malte sie. Stellte sie ins Freie und malte mit delikater Sorgfalt die Landschaft, doch so, daß die Landschaft verschwand und nichts da war als Cayetana. Weiß, stolz und zart stand sie da mit unglaubhaft hohen Augenbrauen in der schwarzen Flut ihres Haares, die Schärpe hoch gegürtet, eine rote Schleife auf der Brust, und vor ihr stand unsäglich dumm und winzig ihr weißer, wolliger Hund mit einer roten Schleife am Hinterfuß, einer lächerlichen Nachahmung ihrer eigenen. Sie aber deutete steif, zierlich und hochmütig hinunter vor ihre Füße; da war zu lesen in dünnen, feinen Lettern: »Der Herzogin von Alba Francisco de Goya«, und die Lettern waren huldigend den Augen der Herzogin zugekehrt.
Dann malte er sie so, wie er sie zuerst gesichtet hatte auf ihrer Estrade, dann so, wie er sie auf dem Spaziergang vor dem Escorial gesehen hatte, er malte sie oft und abermals. Er war nicht zufrieden. Was ihn überwältigt hatte damals auf der Estrade, was ihn verwirrt hatte damals auf dem Spaziergang, was an ihr ihn unaufhörlich ärgerte und lockte, war nicht in seinen Bildern.
Bei alledem war er glücklich. Sie zeigte sich mit ihm ohne Scheu, und er war stolz, daß er, der dickliche, nicht mehr junge Mann, der von unten kam, ihr Cortejo war. Er kleidete sich mit letzter Eleganz, auch beim Malen, gerade beim Malen. So hatte er’s gehalten, als er nach Madrid kam; aber Josefahatte darauf gedrängt, er solle die teuern Kleider nicht beschmutzen und sich des üblichen Arbeitskittels bedienen, und allmählich hatte ihr Zureden und die eigene Rechenhaftigkeit ihn in den Kittel gezwängt. Jetzt verschwand der Kittel wieder. Dabei wußte er, daß er in der knappen, modischen Tracht lächerlich war, und er machte sich lustig über sich selber. Malte etwa einen Stutzer, der sich im Spiegel beschaut; der ungeheure Halskragen beengt ihn, er kann den Kopf nicht rühren, nicht das Gelenk im enormen Handschuh, nicht den Arm im engen Ärmel, er kann nur mit Mühe gehen in den niedrigen, geschnäbelten Schuhen.
Er war nachsichtig mit sich und mit den andern. Duldete Miguels Pedanterien, des Abate gelehrte, elegante Geschäftigkeit, die besorgte Miene Agustíns. Im Kreise der Familie war er aufmerksam und aufgeräumt. Er wünschte, alle Welt solle teilhaben an seinem Glück.
Cayetana konnte kindisch sein, er war es mehr. Kam sie unerwartet, dann etwa stellte er sich auf den Kopf und winkte ihr seinen Gruß mit den Füßen zu. Mit Freuden nützte er seine Kunst, um sie lachen zu machen. Zeichnete ihr sein eigenes Gesicht als eine tolle Fratze, zeichnete großartig verzerrt die Köpfe ihrer Dueña Eufemia, des stutzerhaften Marqués de San Adrián, des gutmütig tölpischen, würdigen Königs. Sie gingen häufig ins Theater, und er lachte glücklich über die naiven Späße der Tonadillas und Sainetes. Oft gingen sie in die Manolería, gern gesehene Gäste in den Weinschenken der Majos.
Er spürte an der Schwelle des Alters eine neue Jugend. Vorher war alles abgebraucht gewesen, das Gute wie das Schlechte, es war immer das gleiche gewesen, bekannt wie der Geschmack der Speisen. Jetzt wurde ihm die Welt reich und neu, es war eine zweite Jugend, erfahrener in Begierde und in Genuß.
Dabei war er sich bewußt, daß die bösen Geister lauerten und daß dieses große Glück großes Unheil gebären müsse. Hatte er nicht das Mittagsgespenst gesehen? Aber Cayetanain seinem Leben zu haben war ein Glück ohne Maß, und er war
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