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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Meinungsverschiedenheiten in theologischen Fragen gekränkt hatte, erklärte neun Stellen dieses Buches für der Ketzerei verdächtig. Weitere ähnliche Gutachten liefen ein, auch Anzeigen wegen verdächtiger Äußerungen Carranzas. Der Großinquisitor las die Bekundungen, studierte sie, fand, das Material genüge zur Anklageerhebung.
    Carranza, gewarnt, daß eine Untersuchung gegen sein Buch schwebe, ließ sich von hoch angesehenen Theologen Gutachten ausstellen, welche die exemplarische Frömmigkeit und Orthodoxie seines Werkes in starken Worten feierten, und wandte sich um Schutz an seinen Zögling König Philipp, der sich um jene Zeit in Flandern aufhielt. Großinquisitor Valdés wußte, daß er nach der Rückkehr des Königs an Carranza nicht mehr herankönne. Er beschloß zuzuschlagen.
    Carranza war auf einer Dienstreise in Torrelaguna. Die Inquisition ordnete an, es dürfe zwei Tage lang kein Bewohner des Ortes sein Haus verlassen, und umstellte das kleine Palais, in dem der Erzbischof wohnte, mit einer starken, bewaffneten Macht. Der Ruf ertönte: »Man öffne dem Heiligen Offizium.« Mit Tränen in den Augen kniete der Inquisitor de Castro vor dem Bett des Erzbischofs und wies ihm den Verhaftsbefehl vor, ihn um Verzeihung bittend. Carranza bekreuzte sich, gab sich in Haft.
    Verschwand aus den Augen der Menschen, als wäre er von der Erde verschwunden.
    Der Großinquisitor reiste in Eile nach Flandern zu König Philipp und erstattete ihm Bericht. Prälaten vom Bischof aufwärts unterstanden nicht der Gerichtsbarkeit der Inquisition, nur der des Papstes. Doch hatte sich Valdés vom Heiligen Vater Vollmacht ausstellen lassen, in besonders gefährlichen Fällen die Untersuchung vornehmen zu dürfen, ohne erst Erlaubnis von Rom einzuholen. Ein solcher Fall, setzte er dem König auseinander, liege hier vor. Er unterbreitete ihm das Material. Betonte, daß er die Einkünfte des Erzbistums Toledo bereits unter Sequester genommen habe und daß die Inquisition nach Deckung der Prozeßspesen diese Einkünfte der Krone überlassen wolle. Daraufhin sah Philipp ein, daß sein Berater und geistlicher Lehrer Carranza stark nach Ketzerei rieche, und billigte das Vorgehen des Großinquisitors.
    Carranza war nach Valladolid gebracht worden. Dort, in der Vorstadt San Pedro, wurde er mit einem einzigen Begleiter in zwei luft- und lichtlose Räume eingesperrt.
    Eine langwierige Untersuchung begann. Dreiundneunzig Zeugen wurden vernommen, das ganze, ungeheure Archiv des Erzbistums Toledo durchstöbert. Es fanden sich Aufzeichnungen für Predigten, welche der Student Carranza vor vierzig Jahren gemacht hatte; Stellen aus ketzerischen Büchern, die er, als Sachverständiger des Konzils von Trient, abgeschrieben hatte, um sie zu widerlegen; zahllose ähnliche verdächtige Dokumente.
    Die Vollmacht, die der Heilige Vater der Inquisition erteilt hatte, ermächtigte Valdés lediglich zur Sicherstellung des Beschuldigten und des Materials. Papst Paul verlangte, man solle ihm den Verhafteten und die Akten nach Rom übersenden. Der Großinquisitor machte Ausflüchte, der König genoß die Einkünfte des Erzbistums Toledo. Papst Paul starb, ihm folgte Pius der Vierte. Die Vollmacht, die Rom erteilt hatte, war auf zwei Jahre befristet gewesen. Papst Pius verlangte die Auslieferung des Verhafteten und des Prozeßmaterials. Der Großinquisitor machte Ausflüchte, der König zahlte aus den Einkünften des Erzbistums dem Nepoten desPapstes eine Pension. Papst Pius verlängerte die Vollmacht um zwei Jahre. Dann nochmals um ein Jahr.
    Inzwischen war der Fall Carranza zum europäischen Skandal geworden. Das Tridentinische Konzil sah in dem schweren Unrecht, welches man dem Erzbischof Carranza antat, einen Schimpf für die Kirche und einen Angriff der spanischen Inquisition auf die Immunität der Prälaten. Das Konzil setzte Carranzas Kommentar zum Katechismus, jenes Werk, welches die spanische Inquisition als Hauptargument seiner Ketzerei betrachtete, nicht nur nicht auf den Index der verbotenen Bücher, sondern befand, das Werk sei gut katholisch und wert, von allen Frommen der Erde gelesen und beherzigt zu werden.
    Daraufhin tat Papst Pius dem Konzil und aller Welt zu wissen, der Heilige Stuhl sei durch die verstockte Haltung des Katholischen Königs erniedrigt. Die Vollmacht der Inquisition, den Fall Carranza zu prüfen, sei am 1. Januar des nächsten Jahres ein für allemal abgelaufen und der gefangene Erzbischof mit dem gesamten Aktenmaterial

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