Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Aber dem Abate, einem Manne, dicklich, alternd, ohne Geld, ohne Titel. Und wie kläglich gar wird er sich in Paris ausnehmen, ein abenteuernder, davongelaufener Beamter der Inquisition. Unbegreiflich sind die Frauen. Alle.
Des Abends saß Señor Bermúdez allein in seinem Kabinett, Notizen sichtend für sein großes Künstlerlexikon. Erhatte gehofft, diese Beschäftigung werde ihn ablenken. Aber es trieb ihn fort von seinen geliebten Papieren, trieb ihn vor das Bild der Lucía.
Francisco hatte recht. Das flirrende Licht des Bildes und das tief Zweideutige, Verschmitzte hinter der damenhaften Maske, das war das Wahre. Es war nichts mit der Linie, nichts mit der Klarheit, alles war Unordnung, innen und außen. Und er, Miguel, war der Dumme gewesen, weil er geglaubt hatte, er könne die unzähmbare Maja verwandeln.
Immer hatte er sich überschätzt. Er hatte, ein verspäteter, unbelehrbarer Humanist, ein Don Quijote, an die göttliche Macht der Vernunft geglaubt, an die Sendung der Geistigen, die Dummheit der Masse zu überwinden. Was für irrsinniger Hochmut. Die Vernunft blieb ewig wirkungslos, verdammt, in Kälte zu leben und in dünner Einsamkeit.
Er erinnerte sich eines Abends mit Olavide. Da hatte ihm dieser vorgeschwärmt, wie er aus der Sierra Morena die wilden Tiere vertreiben und aus der Wüste kultiviertes Land machen werde. Zwei, drei Jahre schien es, als würde ihm das Experiment glücken; aber dann hatte er zahlen müssen mit der Zerstörung seiner selbst, und jetzt wird das Land öde wie vorher. Und genauso ging es ihm, Miguel. Niemals wird es den Wissenden glücken, das Rohe, Wüste, Gewalttätige zu vertreiben aus dem Innern der Menschen, niemals wird die Vernunft es vermögen, die Barbarei zu verwandeln in Gesittung.
Er hatte sein elendes Versagen ein erstes Mal zu spüren bekommen, als er den Olavide sitzen sah im Sambenito in der Kirche San Domingo. Es glückt immer nur für einen kurzen Augenblick, dann fallen die Menschen zurück und werden die Tiere, die sie sind. Für zwei Jahre hatte die Vernunft in Frankreich die Massen ans Licht geholt, dann ist das Wilde, Ungezügelte, die Nacht von neuem und tiefer hereingebrochen.
Klarheit, Hoffnung, Helle gibt es
In der Kunst allein. Auch da nicht.
Denn die Mengs, Bayeu sind dünn, ge-
Künstelt, ihre Bilder, ihre
Linien sind nicht wahr, die Menschen
Sind nicht so, es ist in ihnen
Alles dunkel, undurchsichtig,
Dumpf.
Schlaff saß Miguel, Furcht fiel ihn
An vor seiner Nächsten Fremdheit,
Vor Lucías und vor seines
Freundes Goya Fremdheit. So viel
Unbekanntes war in ihnen,
Dumpfes, Dunkles, feindlich Wirres.
Und er saß und starrte auf das
Bild Lucías, wie sein Freund es
Ihm gemalt, und ihm war kalt und
Einsam.
13
Wenn Großinquisitor Lorenzana daran dachte, mit welch schamloser Offenheit Manuel Godoy, dieser Auswurf, ihm Order erteilt hatte, den Ketzer bereitzustellen, damit er ihn bequemer ins Ausland entführen lassen könne, wenn er sich gar des lateinischen Gespräches erinnerte, welches er mit dem Abate, dem Abtrünnigen, hatte führen müssen, dann brannte den alternden Mann weißglühende Wut. Niemals seit seinem Bestehen hatte das Heilige Offizium eine so freche Herausforderung erfahren.
Lorenzanas engste Freunde und Berater, der Erzbischof Despuig von Granada und der Bischof von Osma, beschworen ihn durchzugreifen. Wenn man das ungeheure Verbrechen Don Manuels ungesühnt hinnehme, dann sei die Inquisition für immer entmachtet. Der Großinquisitor, drängten sie, solle den frechen Ketzer sogleich verhaften lassen und ihn vor das Heilige Tribunal stellen. Ganz Spanien werde ihm Dank wissen.
Nichts hätte Lorenzana lieber getan. Allein er fürchtete, Doña María Luisa werde sich ihren Beischläfer nicht entreißen lassen. Don Manuel zu verhaften, des war er gewiß, bedeutete, einen Kampf mit der Krone aufzunehmen, wie das Heilige Offizium noch keinen geführt habe. Trotzdem erklärte er sich schließlich bereit, gegen den Ersten Minister vorzugehen: doch nur, wenn der Heilige Vater dies ausdrücklich billige.
Erzbischof Despuig wandte sich an einen Freund in Rom, den Kardinal Vincenti. Dieser setzte dem Papst auseinander, vor welch gefährliche Entscheidungen der Großinquisitor gestellt sei. Der Papst, Pius der Sechste, war selber in bedrängter Lage. General Bonaparte war in seine Länder eingefallen und drohte ihn gefangenzunehmen. Aber der Papst war ein Mann, den Drohungen nur streitbarer machten, und aus solchem
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