Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Mut heraus beriet er Lorenzana. Er beauftragte den Kardinal Vincenti, die Anfrage des Kardinal-Erzbischofs Despuig Punkt für Punkt zu beantworten, damit dieser die Meinung des Papstes dem Großinquisitor übermittle. Die Verbrechen des sogenannten Fürsten des Friedens, hieß es in diesem lateinisch abgefaßten Antwortschreiben, stänken zum Himmel, und es sei eine Schande, daß der Katholische König einen solchen Mann zum ersten Ratgeber habe. Der Heilige Vater billige also ausdrücklich das geplante Vorhaben des Herrn Großinquisitors. Wenn Lorenzana den Untaten des Manuel Godoy ein Ende bereite, so befreie er nicht nur Spanien, sondern auch den Statthalter Christi von einem bösen Feinde.
Nun wurde aber der Kurier, der dieses Schreiben des Vatikans nach Sevilla bringen sollte, in der Nähe von Genua von Soldaten des Generals Napoleon Bonaparte aufgegriffen. Bonaparte las das Schreiben. Wiewohl kein großer Lateiner, verstand er sogleich das Komplott, welches der Großinquisitor mit Hilfe des Papstes gegen den Príncipe de la Paz zettelte. Der junge französische General fühlte sich dem jungen spanischen Minister verbunden, der einen ähnlichen, märchenhaften Aufstieg erlebt hatte wie er selber. Zudem lag ihmdaran, die immer noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen über die französisch-spanische Allianz zu fördern. Er ließ Abschrift nehmen von dem Brief des Papstes, schickte die Kopie mit freundlichen Grüßen an Manuel, teilte ihm mit, er werde das Schreiben selber nach Ablauf von drei Wochen dem Adressaten zuleiten.
Manuel freute sich des großen kameradschaftlichen Dienstes, den ihm General Bonaparte geleistet hatte. Er beriet mit Miguel. Der, in seinem Innern, jubelte. Er spürte über alle politische Gegnerschaft hinaus Haß gegen den Großinquisitor. Lorenzana war es, der den Abate außer Landes getrieben hatte und mit ihm Lucía. Lorenzana hatte sein Leben zerstört. Jetzt war der tückische Feind in seine Hand gegeben.
Die Dokumente, setzte er Don Manuel auseinander, erwiesen eindeutig, daß Lorenzana und die beiden Bischöfe ihr heiliges Amt mißbraucht hätten, um dem Katholischen König ihre spanienfeindliche Politik vorzuschreiben. Sie hätten hinter dem Rücken des Königs intrigiert mit einer auswärtigen Macht, die Krieg führe gegen die der Krone Spaniens befreundete Republik. Don Manuel solle die drei verhaften und sie vom Obersten Rat von Kastilien als Hochverräter aburteilen lassen.
Allein Don Manuel schrak vor so energischen Maßnahmen zurück. Das müsse er sich gut überlegen, meinte er, und vorläufig habe er ja drei Wochen Zeit.
Mehrere Tage vergingen, eine Woche, Don Manuel zögerte weiter. Im Besitz des verräterischen Schreibens fühlte er sich zur Genüge gesichert; selber zum Angriff vorzugehen, war er offenbar nicht geneigt.
Der gelassene Miguel konnte seinen Unmut nicht zähmen. Bitter, vor seinem Freunde Goya, klagte er. Da war diese wunderbare Gelegenheit, das bösartige Tier Lorenzana loszuwerden, die spanische Kirche unabhängig von Rom zu machen, der Inquisition einen tödlichen Schlag beizubringen. Und alles scheiterte an der Entschlußlosigkeit Manuels. Sichtlich handelte dieser, wenn er sich jetzt nicht seines Todfeindesentledigte, gegen den eigenen Vorteil. Aber er war einfach zu träge zum Kampf und hielt, von Pepa darin bestärkt, seine faule Duldsamkeit für altspanische Großmut.
Trüb und grimmig schüttete er Francisco den ganzen Zorn und Jammer hin, der sich in ihm aufgestaut hatte. Dieser freundliche, gutmütige Don Manuel war von schwer vorstellbarer Verstocktheit, weich und zäh zugleich, eine träge, sanfte Masse, die sich nicht von der Stelle bewegen ließ. Dabei war er maßlos eitel. Jeder Vorschlag, den man ihm machte, mußte mit Schmeicheleien verzuckert werden. Sein, Miguels, Leben war eine tägliche Kapitulation, ein täglicher, schimpflicher Kniefall vor der Einbildung und der Willkür. »Wie es mich ekelt«, brach er aus, »vor den Kompromissen, vor den ewigen Umwegen, die ich machen muß, um meinem Zweck einen Zoll näherzukommen. Ich bin müde und alt geworden vor der Zeit. Und wenn es dieses Mal wieder mißlingt«, schloß er, »wenn Manuel den Lorenzana nicht zum Teufel jagt, dann geb ich es auf. Dann geb ich die Politik auf und befasse mich nur mehr mit meinen Bildern und meinen Büchern.«
Noch nie hatte Goya den gleichmütig beharrlichen Miguel so trüb und zermürbt gesehen. Er sann, wie er ihm helfen könnte. Hatte eine Idee.
Er
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