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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Sie versuchte, nicht halbherzig zu klingen, als sie fragte: »Oder wollen Sie jetzt darüber sprechen?«
    »Nein.«
    Sylvia sah immer noch zu Boden.
    »Na denn«, sagte Lucy und sah noch einmal auf die Uhr. »In zehn Minuten muss ich bei einer Konferenz sein.«
    Sylvia stand auf. »Danke, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben.«
    »War mir ein Vergnügen, Sylvia.«
    Sylvia sah aus, als wollte sie noch etwas sagen. Aber das tat sie nicht. Fünf Minuten später stand Lucy am Fenster ihres Büros und schaute auf den Innenhof hinunter. Sylvia kam aus der Tür, wischte sich übers Gesicht, hob den Kopf und zwang sich zu lächeln. Mit federndem Schritt ging sie über den Campus. Lucy sah, wie sie anderen Studenten zuwinkte, sich zu einer Gruppe stellte, sich nahtlos einfügte und dann ganz in der Masse verschwunden war.
    Lucy wandte sich ab. Sie betrachtete sich im Spiegel, und was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. War das nicht ein Hilfeschrei gewesen?

    Wahrscheinlich, Luce, und du hast ihn geflissentlich überhört. Gute Arbeit, Superstar.
    Sie setzte sich an den Schreibtisch und öffnete die untere Schublade. Da lag der Wodka. Wodka war gut. Den konnte man im Atem nicht riechen.
    Ihre Bürotür wurde geöffnet. Der Typ, der eintrat, hatte seine langen, schwarzen Haare hinter die Ohren geklemmt und trug mehrere Ohrringe. Er war modisch unrasiert und auf eine Art attraktiv, die an einen alternden Boy-Group-Star erinnerte. Er hatte ein silbernes Piercing am Kinn, ein Anblick, der immer wieder für Irritation sorgte, und die tiefsitzende Jeans wurde nur unzulänglich von einem beschlagenen Gürtel gehalten. Außerdem hatte er die Worte »Mehret euch redlich« auf den Hals tätowiert.
    »Du«, sagte der Typ und lächelte sie an, »siehst echt rattenscharf aus.«
    »Danke, Lonnie.«
    »Nee, ist mein Ernst. Echt rattenscharf.«
    Lonnie Berger war ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter, obwohl sie gleich alt waren. Er war auf Dauer in der Fortbildungsfalle gefangen, machte immer wieder neue Abschlüsse und hing auf dem Campus rum. An der Augenpartie sah man ihm sein Alter an. Lonnie hatte genug vom politisch korrekten Umgang mit dem Sex auf dem Campus, daher hatte er beschlossen, die Grenzen auszuweiten, indem er jede Frau anbaggerte.
    »Du solltest dir was anziehen, was dein Dekolleté mehr betont«, fuhr Lonnie fort, »vielleicht einen von diesen neuen Push-up-BHs. Die Jungs im Seminar passen dann auch gleich viel besser auf.«
    »Ja, genau das fehlt mir noch.«
    »Ehrlich, Boss, wann hast du es zum letzten Mal getrieben?«
    »Das muss jetzt acht Monate, sechs Tage und so etwa«, Lucy sah auf die Uhr, »vier Stunden her sein.«

    Er lachte. »Du willst mich verarschen, stimmt’s?«
    Sie sah ihn nur an.
    »Ich habe die Berichte ausgedruckt«, sagte er.
    Die vertraulichen, anonymen Berichte.
    Sie unterrichtete ein Seminar, das die Universität Kreative Vernunft genannt hatte, in dem neueste Erkenntnisse der Psychologie mit kreativem Schreiben und Philosophie kombiniert werden sollten. Lucy fand das Konzept großartig. Die aktuelle Aufgabe bestand darin, dass jeder Student über ein traumatisches Ereignis in seinem Leben schreiben sollte – etwas, über das man normalerweise mit niemandem sprach. Es wurden keine Namen genannt. Es wurde nicht benotet. Wenn der anonyme Student am Ende des Textes seine Zustimmung gab, durfte der Bericht im Seminar vorgelesen werden, damit darüber diskutiert werden konnte – aber auch da blieb der Verfasser anonym.
    »Hast du schon angefangen, sie zu lesen?«, fragte sie.
    Lonnie nickte und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Sylvia vor ein paar Minuten gesessen hatte. Er legte die Füße auf den Schreibtisch. »Das Übliche«, sagte er.
    »Schlechte erotische Literatur?«
    »Ich würde eher sagen, schlechter Softporno.«
    »Wo liegt der Unterschied?«
    »Woher soll ich das denn wissen? Hab ich dir von meiner neuen Puppe erzählt?«
    »Nein.«
    »Zum Anbeißen.«
    »Mhm.«
    »Ist mein Ernst. Kellnerin. Der knackigste Arsch, mit dem ich je im Bett war.«
    »Und warum sollte mich das interessieren?«
    »Eifersüchtig?«
    »Ja«, sagte Lucy. »Das muss es wohl sein. Gib mir die Berichte, ja?

    Lonnie gab ihr ein paar. Sie vertieften sich in die Texte. Nach etwa fünf Minuten schüttelte Lonnie den Kopf.
    Lucy fragte: »Was ist?«
    »Wie alt sind die Kids so im Schnitt?«, fragte Lonnie. »So um die zwanzig, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Und ihre sexuellen Eskapaden dauern immer um die

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