Grab im Wald
Wohlgenährten waren nur fauler. Sie brauchten nicht zu töten, um an ihre Nahrung zu kommen. Also putzten sie sich heraus und suchten sich sogenannte höhere Ziele, die ihnen den Glauben
vermittelten, sie stünden über den anderen. Was für ein Quatsch. Die Wilden hatten nur mehr Hunger. Das war alles.
Menschen machten schreckliche Dinge, um zu überleben. Jeder, der glaubte, er stünde darüber, machte sich etwas vor.
Er hatte die Nachricht auf seinen Computer bekommen.
So ging das heutzutage. Nicht mehr per Telefon oder gar persönlich. Computer. E-Mails. Es war so einfach, auf diese Art zu kommunizieren, ohne dass jemand es zurückverfolgen konnte. Er fragte sich, wie das alte Sowjetregime mit dem Internet umgegangen wäre. Es hatte so unglaublich viel Energie in die Kontrolle von Informationen gesteckt. Aber wie sollte man Informationen kontrollieren, wenn es so etwas wie das Internet gab? Vielleicht war der Unterschied aber auch gar nicht so groß. Im Endeffekt fand man seine Feinde, indem man undichte Stellen suchte. Die Menschen redeten. Sie verpfiffen sich gegenseitig. Sie betrogen ihre Nachbarn und die, die sie liebten. Manchmal schon für einen Kanten Brot. Manchmal für eine Fahrkarte in die Freiheit. Es hing immer davon ab, wie hungrig sie waren.
Sosch hatte die Nachricht noch mal gelesen. Sie war kurz und einfach, und Sosch wusste nicht, was er jetzt damit machen sollte. Er hatte die Telefonnummer und die Adresse bekommen, trotzdem ging ihm immer wieder die erste Zeile der Mail durch den Kopf. Sie war so einfach.
Er las sie noch einmal:
WIR HABEN SIE GEFUNDEN.
Und jetzt dachte er darüber nach, wie er damit umgehen sollte.
Zwischendurch rief ich Muse an. »Können Sie Cingle Shaker für mich auftreiben?«
»Ich denke schon. Warum, was gibt’s?«
»Ich muss ihr ein paar Fragen über die Arbeitsmethoden von MVD stellen.«
»Bin schon so gut wie dabei.«
Ich legte auf und wandte mich wieder an Lucy. Sie sah immer noch aus dem Fenster.
»Alles klar bei dir?«
»Ich hab ihm vertraut.«
Ich wollte schon »Tut mir leid« oder etwas ähnlich Abgedroschenes sagen, beschloss dann aber, es lieber für mich zu behalten.
»Du hattest Recht«, sagte sie.
»Wobei?«
»Lonnie Berger war wahrscheinlich mein engster Freund. Ich habe ihm mehr vertraut als jedem anderen. Na ja, außer Ira, aber der steckt schon fast mit einem Arm in der Zwangsjacke.«
Ich versuchte zu lächeln.
»Übrigens, was hältst du von meinem Selbstmitleid? Echt anziehend, oder?«
»Wenn ich ganz ehrlich sein soll«, sagte ich, »ja.«
Sie drehte sich um und sah mich an.
»Werden wir einen zweiten Versuch starten, Cope? Ich meine, wenn das alles erledigt ist und wir rausgekriegt haben, was mit deiner Schwester passiert ist? Kehren wir beide dann in unsere normalen Leben zurück – oder versuchen wir, rauszukriegen, was hätte sein können?«
»Ich finde es faszinierend, wenn du so um den heißen Brei herumredest.«
Lucy lächelte nicht.
»Ja«, sagte ich. »Ich möchte es gern versuchen.«
»Gute Antwort. Sehr gut.«
»Danke.«
»Ich will nicht immer die Einzige sein, die ein gebrochenes Herz riskiert.«
»Das bist du nicht«, sagte ich. »Ich bin auch noch da.«
»Und wer hat jetzt Margot und Doug umgebracht?«, fragte sie.
»Wow, das war ja mal ein nahtloser Übergang.«
»Klar, ist doch logisch. Je schneller wir rauskriegen, was passiert ist …« Sie zuckte die Achseln.
»Weißt du was?«, sagte ich.
»Und?«
»Es fällt mir nicht schwer, mich zu erinnern, wieso ich mich in dich verliebt habe.«
Lucy wandte sich ab. »Nein, ich werde nicht weinen, ich werde nicht weinen, ich werde nicht weinen, …«
»Ich hab jetzt keine Idee mehr, wer sie umgebracht haben könnte«, sagte ich.
»Okay. Was fangen wir mit Wayne Steubens an? Glaubst du immer noch, dass er das war?«
»Ich weiß es nicht. Wir wissen nur, dass er Gil Perez nicht umgebracht hat.«
»Glaubst du, dass er dir die Wahrheit gesagt hat?«
»Er hat behauptet, er hätte eine Affäre mit dir gehabt.«
»Igitt.«
»Er wäre aber nur bis aufs zweite Base gekommen.«
»Wenn er das mitzählt, wo er beim Baseballspiel absichtlich in mich reingerannt ist und mich betatscht hat, tja, dann könnte man das genaugenommen als Wahrheit sehen. Hat er das wirklich gesagt?«
»Ja. Er hat auch gesagt, dass er mit Margot geschlafen hat.«
»Kann sein. Mit Margot haben viele geschlafen.«
»Ich nicht.«
»Aber nur, weil ich dich sofort bei deiner
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